inside:health sprach mit Professor Dr. Ströbel über seine Erwartungen an die personalisierte Medizin und an Companion Diagnostics – mit der Bitte um eine aktuelle Einschätzung.
Kurz zusammengefasst
Im Zeitalter der personalisierten Medizin steht das Fach Pathologie großen Chancen, aber auch großen Herausforderungen gegenüber. Das korrekte Erkennen einer Erkrankung hat größere Bedeutung als jemals zuvor. Dazu zählen heute bei Tumoren auch genetische Veränderungen. Nur mit diesen umfassenden Informationen erhält der Patient die bestmögliche Behandlung. Die Pathologie fungiert sozusagen als „Lotse“ zur Therapie. Das Ziel: Erkrankungen möglichst genau verstehen, um immer bessere Methoden zur Erkennung und Behandlung zu entwickeln.
Professor Dr. Philipp Ströbel zum Thema „Personalisierte Medizin“
Das Institut für Pathologie an der Universitätsmedizin Göttingen wird seit Ende 2012 von dem amtierenden Direktor Professor Dr. Heinz-Joachim Radzun gemeinsam mit Professor Dr. Philipp Ströbel geleitet. Die Neuberufung von Professor Ströbel markiert einen Teil des Umstrukturierungsprozesses, mit dem sich die Abteilung für den nationalen und internationalen Wettbewerb in Forschung und Wissenschaft neu positioniert.
Im Zuge des umfassenden Restrukturierungs- und Modernisierungsprozesses der Pathologie an der Universitätsmedizin Göttingen entsteht in dem Institut ein Speziallabor für molekulare Diagnostik, in dem Tumoren mit modernsten Methoden auf genetische Veränderungen getestet werden, die sie empfindlich für neue Therapien machen. Dieses Labor wird Ärzten und Patienten der gesamten Region Göttingen und Süd-Niedersachsen zur Verfügung stehen.
Wie definieren Sie Companion Diagnostics und wie ordnen Sie dies in Relation zu personalisierter Medizin ein?
Professor Dr. Philipp Ströbel: Die personalisierte Medizin steht für die Berücksichtigung individueller, situativer Gegebenheiten des Patienten mit dem Ziel, für den jeweiligen Patienten eine maßgeschneiderte und besonders wirkungsvolle Therapie anbieten zu können.
Companion Diagnostics können als Baustein der personalisierten Medizin verstanden werden und kommen zum Einsatz, um im Vorfeld einer Therapie abzuklären, inwieweit die Behandlung bei dem bestimmten Patienten wahrscheinlich erfolgreich verlaufen wird oder nicht.
Ein Merkmal für eine derartige Weiterentwicklung der Medizin, die unweigerlich mit Kostensteigerung verbunden sein wird, ist die Umverteilung von Ressourcen. Die Anforderungen an die Behandlung werden sich ändern, und damit werden die Budgets anders ausgegeben werden müssen. Letztendlich wird sich natürlich auch die Frage stellen, ob wir uns diese „neue“ Medizin überhaupt leisten können.
Was löst die Bewegung hin zu einer personalisierten Medizin aus Ihrer Sicht aus?
Ströbel: In meinem Gebiet, der Onkologie, erleben wir derzeit einen grundlegenden Paradigmenwechsel, eine Beschleunigung des Verständnisses, das bislang auf Mutationen beschränkt war. Neue Techniken forcieren den Erkenntnisgewinn, geben enormen Anschub in der Forschung und erweitern das therapeutische Armamentarium. Dies ist nicht nur im universitären Kontext relevant, ganz besonders kommen die Neuerungen bei den Patienten und den niedergelassenen Kollegen an. Im palliativen Umfeld machen natürlich mehrere zusätzliche Monate, manchmal auch Jahre Überlebensintervall einen großen Unterschied. Dieser Wissenszuwachs stellt durchaus die Fachleute vor enorme Herausforderungen. Es ist nahezu unmöglich, auf allen Ebenen fachlich „up to date“ zu sein – dazu ist das Gebiet zu komplex. Sinnvoll wäre ein Team aus Spezialisten, in dem ein Facharzt für die sich schnell entwickelnde Diagnostik den anderen beratend zur Seite steht. Wir treffen beispielsweise an der Universitätsmedizin Göttingen keine therapeutische Entscheidung außerhalb des interdisziplinären Tumorboards. Politisch erleben wir jedoch den gegenläufigen Trend – hin zum Generalisten, dem Allgemeinmediziner. Klar: Das System muss bezahlbar bleiben.
Warum halten Sie Companion Diagnostics für ein wichtiges Thema?
Ströbel: Companion Diagnostics ist die Brille, durch die wir die Krankheit sehen und in ihrer Therapierelevanz betrachten. Dies wird wesentlich bestimmen, wer und in welcher Breite getestet wird – etwa ob die Testung in speziellen Zentren und nur durch einen bestimmten Anwenderkreis durchgeführt werden kann.
Welche sind für Sie die kritischen Komponenten einer erfolgreichen Companion Diagnostics?
Ströbel: Grundsätzlich sind Systeme erforderlich, die einfach zu bedienen sind, eine hohe Sensitivität und Spezifität haben und auf hohem Niveau standardisiert sind.
Die Situation heute ist die sequenzielle Testung auf verschiedenen Plattformen – wir sind z. B. in der Pathologie ausgestattet mit Systemen für FISH, IHC, quantitative PCR, Pyrosequencing etc., haben aber keine Plattform für alles. Wenn wir uns für ein (üblicherweise geschlossenes) System entscheiden, das einen bestimmten Parameter testet, dessen Relevanz bei kurz darauf erfolgender Neuentwicklung eines besseren Tests verloren geht, haben wir fehlinvestiert. Im negativen Fall könnte Companion Diagnostics den medizinischen Fortschritt behindern, wenn z. B. geschlossene Systeme Parameter testen, die bereits wieder durch neue abgelöst worden sind. Dynamisierung ist hier wichtig. Wenn für jede Frage ein extra Apparat benötigt wird, ist dies außerhalb eines Zentrums nicht finanzierbar. Eine weitere Anforderung ist also, dass Companion Diagnostics diese Eskalierung mitmachen. Zudem benötigen wir Zulassungsprozesse, die sich am medizinischen Fortschritt orientieren und eine schnelle Anwendung in der Praxis erlauben.
Nehmen wir Krebs als Beispiel: Welche großen Herausforderungen könnten mit Companion Diagnostics adressiert werden?
Ströbel: In der gesamten Universität wird Grundlagenforschung betrieben, insbesondere in der Onkologie und Kardiologie mit starkem Fokus auf personalisierter Medizin. Eine Besonderheit liegt in der Kooperation mit Targos, einem weltweit führenden Dienstleister im Bereich der Anwendung und Entwicklung von prädiktiven Biomarkern. Hier bieten sich uns gute Möglichkeiten hinsichtlich Know-how und Logistik. In Zukunft möchten wir dies noch stärker institutionalisieren und in bestimmte Bereiche investieren wie beispielsweise in die personelle Ausstattung. Die Onkologie befindet sich im Aufbau und soll noch mehr Profilschärfe gewinnen.
Welche Rolle fällt dabei IT zu?
Ströbel: IT wird eventuell sogar die Schlüsselposition angesichts der in Zukunft noch komplexer werdenden Testsysteme übernehmen, und zwar auf drei verschiedenen Ebenen – zum einen die reine Erhebung sämtlicher möglicher Daten, zum zweiten erwartet die Anwenderseite auf Basis der relevanten Daten ein eindeutiges Ergebnis – ein solches sich entwickelndes, kontinuierlich lernendes Expertensystem ist bereits eine maximale IT Leistung. Das Umfeld der personalisierten Medizin ändert sich durch neue Expertensysteme, die – wie gesagt – eine wichtige Unterstützung liefern. Relevante Informationen sollten damit in kondensierter Form zusammengeführt werden, die die Ärzte aktuell für eine klinische Entscheidung benötigen. Drittens sehe ich die Konsolidierung von Erkenntnissen auf nationaler oder internationaler Ebene in Form von Datenbanken, z. B. das Ansprechen auf bestimmte Therapien oder auftretende Nebenwirkungen. Das so gesammelte und evaluierte Wissen beflügelt den medizinischen Fortschritt und ist evidenzbasierte Medizin in bester Hinsicht.
Welche Unterstützung wünschen Sie sich von der Industrie? Wo und wie könnten wir uns stärker einbringen?
Ströbel: Von der Industrie erwarte ich mir ein Produkt, das sich etwa durch das einfache Hinzufügen neuer Module an veränderte Diagnostikmöglichkeiten anpassen lässt. Generell ist der gegenseitige Kontakt und Austausch wichtig – hier ist sicherlich noch eine Verstärkung möglich. Auch im Bereich der Entwicklung von neuen Lösungen sehe ich Potenzial. So ist beispielsweise der Aufbau von gemeinsamen Research-Campi oder eine frühzeitige Einbeziehung von sogenannten „Key Opinion Leadern“ in den Entwicklungsprozess denkbar. Fehlentwicklungen kann so möglicherweise schon frühzeitig entgegengesteuert werden.
Wie wird personalisierte Medizin Ihrer Meinung nach das Berufsbild des Labormediziners und Pathologen in der Zukunft beeinflussen?
Ströbel: Ich kann es nur für die Pathologen beurteilen, aber ich denke, dass sich dies auf den Labormediziner übertragen lässt: Das Berufsbild hat sich schon sehr gewandelt; die Differentialdiagnostik wird immer wichtiger für die therapeutischen Konsequenzen. Beispielsweise war es bis vor einiger Zeit unerheblich, zwischen einem Plattenepithelkarzinom und einem Adenokarzinom differenzieren zu müssen, da sich daraus keine therapeutische Konsequenz ergeben hätte. Heute sind verschiedene Therapien aufgrund der Tumorgenese möglich.
Ferner verschieben sich Parameter, werden wichtiger oder unwichtiger im Zuge des Fortschritts. Und dies stellt extrem hohe Anforderungen an die Qualifikation des Personals, die Prozessqualität inklusive Qualitätsmanagement, an die Standardisierung und an Ressourcen. Kurz zusammengefasst muss die Qualität bei gleichzeitiger Verringerung der Turnaround-Time gesteigert werden.
Für wie wichtig erachten Sie die Weiterbildung diesbezüglich von Ärzten?
Ströbel: Weiter- und Fortbildung halte ich für essenziell und sehe darin einen großen Handlungsbedarf. Welche Möglichkeiten können wir nutzen, fortlaufend zu informieren? Wie kann die komplexe Materie in die Breite getragen werden? Das Problem liegt nicht darin, dass das Angebot nicht bestünde, jedoch werden Fortbildungsveranstaltungen häufig nicht gut besucht. Ein Grund dafür ist sicher die Übersättigung, ein anderer die fehlende Awareness für dieses wichtige Thema. Hilfreich wäre die maßgeschneiderte, breitenwirksame Aufarbeitung der Materie und die Schaffung von Anreizen – nicht nur in der Weiter-, sondern ganz wesentlich auch in der Ausbildung. Und darin besteht mein Anliegen: Den Wandel des Faches auch den Studierenden und einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen.
Welche Vision haben Sie in Bezug auf personalisierte Medizin kurz-, mittel- und langfristig?
Ströbel: Personalisierte Medizin erfordert multidimensionales und multiparametrisches Herangehen und muss – wie zuvor ausgeführt – IT-basiert laufen. Die Ableitung von Therapieentscheidungen wird heute noch analog getroffen, wenn die Ergebnisse aus Bildgebung, Labordiagnostik und Blutdruckmessungen auf eine bestimmte Handlung hinweisen. Tatsächlich sehe ich in Zukunft eine stärkere Unterfütterung durch die IT als Vorfilter und die Empfehlung eines Flugkorridors wie beim Lenken eines Jumbojets. Da ist heute ebenfalls sehr viel mehr IT im Spiel als vor 60 Jahren in einer JU52.
Herr Professor Ströbel, vielen Dank für das Gespräch.