Nachhaltigkeit

Mit Kreislaufwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit

Über die zahlreichen Vorteile einer zirkulären Wirtschaft. 

Julia Donhauser-Bach
Veröffentlicht am August 7, 2023

Im Jahr 1966 hat der Wirtschaftswissenschaftler Kenneth E. Boulding unter der Metapher „Raumschiff Erde“ eine Idee in die internationale Umweltdebatte eingebracht: die Kreislaufwirtschaft. Diese bietet der Medizintechnik gleich mehrere Vorteilesie verringert den CO2-Fußabdruck der Systeme, verbessert die Ökobilanz der Gesundheitsversorger und steigert den Zugang zu innovativer Technik. 

„Die Erde ist zu einem einzigen Raumschiff geworden, in dem es keine unbegrenzten Reserven gibt, weder für den Abbau noch für die Verschmutzung, und in dem der Mensch daher seinen Platz in einem zyklischen ökologischen System finden muss“, schreibt Boulding im Jahr 1966 in seiner Abhandlung „Die Ökonomie des kommenden Raumschiffs Erde“.Heute ist die Kreislaufwirtschaft eines der zentralen Werkzeuge im Kampf gegen die vielen Herausforderungen der Klimakrise. Sie stellt per Definition eine Wirtschaft im Fluss dar – von der ressourceneffizienten Schöpfung des Produkts bis hin zur Rückführung der verwendeten Stoffe in den Kreislauf.2

„Die Medizintechnikbranche hat die vielseitigen Vorteile einer zirkulären Wirtschaft schon vor einiger Zeit erkannt. Siemens Healthineers etwa arbeitet schon seit über 20 Jahren bildgebende medizintechnische Systeme auf“, sagt Patricia Gehrlein, Circular Economy Program Manager bei Siemens Healthineers. Seit mehreren Jahren treibt sie die Kreislaufwirtschaft auf verschiedenen Ebenen der Organisation voran. „Durch das Aufarbeiten von Systemen und auch Ersatzteilen machen wir uns unabhängiger von knapper werdenden Ressourcen. Außerdem senken wir effektiv den CO2-Fußabdruck der Systeme, was sich wiederum positiv auf die Ökobilanz unserer Kunden auswirkt.“



Alles beginnt vor der eigentlichen Herstellung: Das medizinische Bildgebungssystem muss schon kreislaufgerecht und ressourceneffizient entwickelt werden. Bei der Konzeptionierung müssen die eingesetzten Materialien, die Wartung, die Reparaturfähigkeit und die Aktualisierbarkeit eines System berücksichtigt werden – sowohl für die Hardware als auch für die Software.

„Die Systeme von Siemens Healthineers folgen einer „Baukasten“-Methodik3, einem modularen Produktdesign, bei dem von Beginn an kreislaufgerechte Eigenschaften bedacht werden“, erklärt Gehrlein. So könne der Service vereinfacht werden und durch regelmäßige Wartung zudem der Produktlebenszyklus verlängert werden. Auch können Systeme durch bestimmte Upgrades auf den neusten Stand der Technik gebracht werden, um etwa das System energieeffizienter zu machen oder die klinischen Einsatzbereiche zu verbessern.

Die Verlängerung des Produktlebenszyklus wird von immer größerer Bedeutung. In der Total-Cost-of-Ownership-Analyse für Investitionen werden von Kunden genau solche Punkte berücksichtigt. Dabei werden in Zukunft auch Nachhaltigkeitskriterien betrachtet, die das System langfristig kosteneffizienter machen und den ökologischen Fußabdruck reduzieren.



Ist das System beim Kunden installiert, ist der Umgang mit Ersatzteilen ein Schlüsselelement, um den Rücklauf der Produkte und Komponenten zu sichern. Melanie Schwarzmann leitet den Bereich Lieferantenlogistik und setzt sich schon seit einigen Jahren für die zirkuläre Ersatzteilgewinnung ein. Ihr Ziel ist es, für möglichst jedes Teil ein zweites Zuhause zu finden. „Über 50 Prozent der gebrauchten Teile können nach der Rücknahme repariert und aufgearbeitet werden, um später im eigenen Ersatzteillager auf den nächsten Einsatz zu warten“, erklärt Schwarzmann. Zahlreiche Teile, wie etwa Computer, könne man so zurück in den Ersatzteilkreislauf führen und wiederverwenden. Auch einzelne Teile aus einer Röntgenröhre, wie beispielsweise das Gehäuse finden in einem anderen Gerät ein zweites Leben. Das unterliegt strengen Auflagen, um zu jeder Zeit die Sicherheit des Systems zu garantieren. „Wo ein Teil nicht reparierfähig ist, lassen wir es recyceln, und zwar möglichst in dem Land, in dem es zuletzt verwendet wurde, um unnötige Transportwege zu vermeiden“, erklärt sie weiter.4

Auch ein bildgebendes System, wie ein Magnetresonanztomograph oder ein Computertomograph, kann aufgearbeitet werden. „Refurbished Systems haben nicht nur den Vorteil, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Kreislaufwirtschaft leisten. Sie ermöglichen auch den Zugang zu innovativer Medizintechnik, denn sie können zu einem erschwinglicheren Preis angeboten werden, ohne dabei Qualität einzubüßen“, sagt Patricia Gehrlein.

5-stufiger Qualitätsprozess für ecoline Systeme.

Die Verpackung, in denen Komponenten sowie Ersatzteile oder ganze Systeme transportiert werden, ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Kreislaufwirtschaft. Dabei geht es nicht nur um das schlussendliche Recycling des Materials, sondern vielmehr um die Reduzierung von Verpackung und Wiederverwendung. Günther Dornauer leitet den globalen Bereich der Verpackungsentwicklung und weiß, wie bedeutsam das Reduzieren von Verpackungsmaterial für eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft ist. „Durch ein Neudesign der Umverpackung kann beispielsweise das gleiche Equipment mit weniger Verpackungsmaterial auskommen. Das klingt einfacher als es ist. Es steckt viel Entwicklungs- und Validierungsarbeit in unseren Verpackungen“, erklärt Dornauer. Er und sein Team hinterfragen jede Verpackung: Welche Anforderungen muss die Verpackung erfüllen? Welche länderspezifischen Regularien müssen eingehalten werden, um einen sicheren und reibungslosen Versand zu ermöglichen? Wie kann die Verpackung nach dem Versand weiterhin genutzt werden, anstatt sie der Abfallwirtschaft zuzuführen? Zum Verpackungsbereich gehört auch, sich die Transportwege genau anzusehen und die Verpackung entsprechend zu gestalten.

Bei diesen Fragen spielt nicht nur das Reduzieren von Umweltbelastungen eine Rolle. „Natürlich ist ein wichtiges Ziel, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Aber genauso wichtig ist es für uns, Müll und Abhängigkeiten von Ressourcen deutlich zu verringern“, erklärt Dornauer. 

Um das „Raumschiff Erde“ zukunftsfähig zu machen, bedarf es genau solchem Hinterfragen – sowohl von vorhandenen Prozessen als auch zukünftigen Entwicklungen. Die flächendeckende Umstellung von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft wird noch Zeit brauchen, doch der Weg ist geebnet für langlebige medizinische Systeme. „Bei der Kreislaufwirtschaft ist es wichtig zu verstehen, dass sie keine einzelne, nachgelagerte Maßnahme ist. Sie ist ein umfassendes Konzept über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg“, macht Patricia Gehrlein deutlich.

Erfahren Sie im ersten Teil, welche große Rolle das zirkuläre Produktdesign einnimmt und wie bedeutsam die Verlängerung des Lebenszyklus für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist. 


Von Julia Donhauser-Bach

Julia Donhauser-Bach ist Redakteurin bei Siemens Healthineers.