Bildgebung

Unverzichtbar in der Medizintechnik

Ohne Kunststoff geht nichts
6min
Elena Kleffel
Veröffentlicht am September 7, 2022

Spulen, die mit Patient*innen in Kontakt kommen, sollen nicht hart wie eine Tischplatte sein, sondern weich wie ein Kissen – daran arbeitet Yvonne Candidus. 

Wer bereits einmal eine MR-Untersuchung hatte, weiß: Um sich herum befindet sich dabei viel Kunststoff. Dabei ist die Hülle des MR-Systems und mögliche Lokalspulen, die um das zu untersuchende Körperteil gelegt werden, noch lang nicht alles – ein MR-System nutzt an vielen Stellen die unterschiedlichsten Arten des Materials.

Warum das so ist, weiß Yvonne Candidus, studierte Werkstoffwissenschaftlerin und seit 26 Jahren bei Siemens Healthineers zuständig, Lokalspulen zu entwickeln. Dabei ist eine möglichst körpernahe Passform der Spule wichtig, genauso wie ein hoher Komfort.

Lokalspulen werden beim Scan direkt am Patienten platziert. Sie fangen mithilfe eingebauter Antennen die Signale der Wasserstoffatome im Körper auf, die durch den Magneten angeregt werden. Im nächsten Schritt werden diese Signale mithilfe einer Software in Bilder umgesetzt.

Früher waren Lokalspulen relativ unbewegliche Taschen, in die Antennen hineingesteckt wurden. Heute sind es flexible Spulen, die mithilfe von Ultraschall geschweißt werden und sich eher anfühlen wie ein sehr gemütliches, kleines Kissen. Die Kunststoffexpertin präsentiert im MR Experience Center in Erlangen, woran sie und ihr Team viele Monate tüftelten: eine flexible Lokalspule1. Der Kunststoff fühlt sich hier tatsächlich nachgiebig an.

Um zu so einem Produkt zu kommen, überlegt das Team zunächst, wie flexibel die Spule sein soll und wie klein die Gehäuse für die Antennen gebaut werden können. Dazu sprechen sie sich eng mit den zuständigen Hochfrequenzentwicklern ab. Anschließend definieren sie einen geeigneten Materialmix – hier kommt das Wissen über Kunststoffe zur Geltung. Denn Kunststoff kann so vieles sein: hart, weich, leicht, hitze- und strahlenbeständig und flexibel zu verarbeiten.

„Am wichtigsten ist natürlich“, sagt Yvonne Candidus, „dass das Material der Lokalspule nicht bildgebend ist. Auch deshalb ist Kunststoff in der Medizintechnik oft das Material der Wahl.“

Danach lassen sie erste Prototypen produzieren. „Das passiert fast immer bei uns im Haus per 3D-Druck“, erzählt Candidus. „Und mit den Prototypen führen wir dann verschiedene Tests durch.“

Dazu gehört zum Beispiel die Prüfung der Brennbarkeit oder der Beständigkeit gegenüber Medien oder UV-Strahlung. Besonders wichtig ist hier, ob der Prototyp beständig gegenüber Desinfektions- und Reinigungsmitteln ist. „Kunststoffe sind Alleskönner“, sagt der die Tests durchführende Kollege Sebastian Köppl aus der Werkstofftechnik. „In der Medizintechnik können wir nicht auf sie verzichten.“

Sebastian Köppl testing a display for its resistance to cleaning agents and disinfectants.

Auch an anderer, ganz entscheidender Stelle ist Kunststoff gefragt. Dabei kommt dann wieder eine völlig andere Art zum Einsatz. Andreas Fischer prüft den bestmöglichen Einsatz von Kunststoff direkt in den Gradientenspulen des MRT. Diese großen Röhren schalten das Magnetfeld partiell an und aus, wodurch sie eine Ortskodierung des Messsignals ermöglichen.

Kunststoffe können einem werkstofflichen, rohstofflichen oder thermischen Recycling zugeführt werden. Hierbei werden sie zu neuen Produkten verarbeitet oder in niedermolekulare Stoffe, die dann weiterverarbeitet werden, aufgespalten.
A just-cast gradient coil is driven into a tempering furnace for hardening.

Hauptsächlich bestehen sie aus Kupferleitungen, einem Kühlsystem, Sensoren und dem sie umgebenden Kunststoff. Sie sind für das typische Hämmergeräusch des MRTs verantwortlich. Die Spulen werden in riesigen Gießkammern mit einer Harzmischung durchtränkt, die zusammen mit dem Harzhersteller eigens dafür entwickelt wurde.

„Nur durch den Kunststoff schaffen wir es, dass die Spulen so stabil sind und alle Leiter sicher umschlossen werden“, sagt Andreas Fischer. „Unser Kunststoffgemisch leitet außerdem die enorme Wärme in der Spule gut ab.“

Nach dem Guss härten die Spulen in Öfen aus und kühlen anschließend ab. Während Yvonne Candidus viel handwerklich arbeitet – von der Zeichnung bis zu den Prototypen – geschieht die Verarbeitung des Kunststoffes bei den Gradientenspulen mittlerweile vollautomatisch, während früher noch von Hand laminiert wurde. Doch der Ingenieur fühlt sich seinem Produkt trotzdem eng verbunden: „Wir führen zahlreiche Analysen am Kunststoff und am Produkt durch, um eine gleichbleibende Qualität sicherzustellen. Wir machen Versuche zur Verträglichkeit unserer Kunststoffmischung mit den anderen in der Spule verwendeten Materialien und optimieren die Verarbeitungsparameter.“

Was er, Yvonne Candidus und Sebastian Köppl gemeinsam haben, ist der Wunsch, etwas mit ihren eigenen Händen herzustellen – und das Ergebnis zu sehen. „Wenn ich beim Arzt oder im Fernsehen ein Siemens Healthineers Produkt sehe und weiß, dass ich ein bestimmtes Bauteil geprüft und für dessen Sicherheit gesorgt habe“, sagt Sebastian Köppl, „dann weiß ich, wofür ich jeden Tag ins Labor gehe.“


Von Elena Kleffel
Elena Kleffel ist Redakteurin bei Siemens Healthineers.