Neurologie

Zusammen für eine bessere Diagnose und Nachsorge

Angesichts der begrenzten therapeutischen Möglichkeiten für neurodegenerative Erkrankungen bündeln Forschung und Industrie ihre Kräfte, um bei Diagnose und Behandlung schnellere Fortschritte zu erzielen.

3min
Doris Pischitz
Veröffentlicht am January 5, 2022

Labordiagnostik ist ein vielversprechender Bereich, der eine frühere Diagnosestellung ermöglichen sowie Monitoring und Nachsorge während der Behandlung erleichtern könnte.

Heute werden Biomarker für neurodegenerative Erkrankungen im Labor hauptsächlich durch die Analyse von Liquor cerebrospinalis (Liquor) nachgewiesen. Veränderungen der Beta-Amyloid-, der Gesamt-Tau- und der Phospho-Tau-Proteine (im Vergleich zu gesunden Personen gleichen Alters) weisen auf die Alzheimer-Krankheit und andere Ursachen für kognitive Beeinträchtigungen hin, während das α-Synuclein-Protein ein Anzeichen für Parkinson-Krankheit ist.[1] Auch die Messung der Neurofilament-Leichtkette (NfL) hilft Ärzt*innen bei der Beurteilung einer Reihe von entzündlichen, neurodegenerativen, traumatischen und zerebrovaskulären neurologischen Erkrankungen.[2] Eine Lumbalpunktion zur Entnahme von Liquor ist jedoch unangenehm für die Patient*innen und kostspielig für das Gesundheitssystem. Der Eingriff erfordert eine örtliche Betäubung, 24 Stunden Ruhe und in manchen Fällen sogar einen Krankenhausaufenthalt über Nacht. Außerdem müssen die Punktionen im Verlauf der Krankheit wiederholt werden, um Krankheitsverlauf bzw. Behandlungserfolg zu messen. NfL-Tests werden daher zunehmend mit komfortableren Blutproben durchgeführt.1

Liquor cerebrospinalis ist eine klare Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umgibt.

NfL ist ein Protein, das in myelinisierten Axonen enthalten ist. Myelinisierung kann die Signalübertragung zwischen den Neuronen erheblich beschleunigen.[3] Erhöhte NfL-Werte im Liquor sind ein Zeichen für eine Verletzung von Neuronen und eine Degeneration dieser Axone. Verletzungen von Neuronen treten bei Krankheitsprozessen auf, die sowohl das zentrale als auch das periphere Nervensystem betreffen. Der NfL-Spiegel steigt proportional zum Grad der chronischen axonalen Schädigung. Die Rolle von NfL wurde z.B. bei Multipler Sklerose und Alzheimer, frontotemporaler Demenz, amyotropher Lateralsklerose sowie bei atypischen Parkinson-Erkrankungen und traumatischen Hirnverletzungen untersucht.[2] Aber auch unter normalen Bedingungen werden ständig geringe Konzentrationen NfL freigesetzt, deren Höhe wahrscheinlich vom Alter des Menschen abhängt.

Ein Axon ist eine Nervenfaser.

NfL wird freigesetzt, wenn neuronale Schäden auftreten
Erhöhte Konzentrationen des in myelinisierten Axonen enthaltenen Proteins NfL in Liquor und Blut weisen auf eine neuronale Schädigung hin. Quelle: Khalil M, Teunissen CE, Otto M, et al. Neurofilaments as biomarkers in neurological disorders. Nat Rev Neurol. 2018;14(19):577–589.

Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass NfL eine wichtige Rolle bei der Prognose des Krankheitsverlaufs von Multipler Sklerose (MS) spielen könnte. MS-Patient*innen mit erhöhten NfL-Werten hatten eine um 40-70% höhere Wahrscheinlichkeit, dass sich ihre Symptome innerhalb eines Jahres verschlechterten, als solche mit niedrigen NfL-Werten.[4] Eine weitere Studie bestätigte, dass hohe NfL-Werte mit mehr Schüben, mehr aktiven Läsionen in der Magnetresonanztomographie, einer höheren Rate an Hirnvolumenverlusten (einschließlich der grauen Substanz) und einem höheren Risiko für langfristige Behinderungen einhergehen.[5]

Viele MS-Medikamente werden intravenös verabreicht.
A patient receives an infusion.
Für eine bessere diagnostische Abklärung und zur Entwicklung und Überwachung wirksamer krankheitsmodifizierender Therapien brauchen medizinische Fachkräfte leicht zugängliche, kosteneffiziente und genaue blutbasierte Tests für Anzeichen von Neurodegeneration. In seinem Center for Innovation in Diagnostics (CID) CLIA-Labor in Berkeley, Kalifornien, bietet Siemens Healthineers für die Medikamentenentwicklung biopharmazeutischer Unternehmen bereits eine Reihe maßgeschneiderter Neurobiomarker-Tests an – einschließlich NfL in Liquor, Serum und Plasma. Es hat sich gezeigt, dass zwischen den aus dem Test gewonnenen NfL-Werten und den klinischen und radiologischen Messungen der Krankheitsaktivität bei MS-Patient*innen ein Zusammenhang besteht.
Unter einer Rahmenvereinbarung mit der Novartis Pharma AG sollen diagnostische Tests für therapeutische Produkte aus der gesamten therapeutischen Pipeline von Novartis konzipiert, entwickelt und vermarktet werden. Das erste Programm unterstützt die Entwicklung eines Serum-NfL-Immunoassays (sNfL) zur Durchführung auf Immunoassay-Plattformen von Siemens Healthineers für den Einsatz in klinischen Labors weltweit2. Zugute kommt dies den MS- und anderen neurowissenschaftlichen Programmen von Novartis. Als führendes pharmazeutisches Unternehmen im Bereich Neurowissenschaften setzt sich Novartis dafür ein, Menschen mit neurologischen Erkrankungen wie MS neue Behandlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Gerade hier gibt es einen hohen ungedeckten Bedarf an Behandlungsoptionen.
Eine leicht zugängliche Diagnose ist nicht nur wichtig für die Aufnahme von Patient*innen in klinische Studien zu neuen Medikationen. Sie ist oft auch Voraussetzung für die Einleitung bestimmter krankheitsmodifizierender Behandlungen, sobald diese zugelassen sind – zumal das Ziel darin besteht, die Behandlungen präziser auf einzelne Patient*innen und die aktuelle Phase ihres individuellen Krankheitsverlaufs auszurichten. Sobald sNfL als Routinetest auf klinischen Plattformen zur Verfügung steht, sollten klinische Labors diese Biomarker-Tests für Patient*innen mit MS und anderen verheerenden neurologischen Erkrankungen anbieten können.

Von Doris Pischitz
Doris Pischitz ist Redakteurin in der Unternehmenskommunikation bei Siemens Healthineers. Das Team ist spezialisiert auf Themen rund um Gesundheit, Medizintechnik, Krankheitsbilder und Digitalisierung.