Neurologie

Nuklearmedizinische Bildgebung in der Neurologie

Viele Menschen leben länger, aber nicht alle sind gesund. Wie kann die Molekularmedizin die Diagnose altersbedingter kognitiver Beeinträchtigungen unterstützen?
6min
Takeshi Shimizu
Veröffentlicht am June 1, 2021

Dass die Bevölkerung immer älter wird, hat vieles in unserer Gesellschaft verändert. Der Beitrag, den Ältere in der Gemeinschaft leisten, wird immer stärker anerkannt, und Entwicklungen in der sozialen Infrastruktur erleichtern ihre Mitwirkung. Das verbesserte Aktivitätsniveau älterer Menschen, ihre Produktivität und ihr sozioökonomischer Status wirken sich darüber hinaus in unerwarteter Weise auf die Gesellschaft und die Anforderungen an das Gesundheitswesen aus.

„Wenn ich morgens die Zeitung lese, kann es sein, dass ich einen Artikel über einen Verkehrsunfall finde, an dem ein Fahrer oder eine Fahrerin mit einer kognitiven Beeinträchtigung beteiligt war. Die meisten davon sind Patient*innen mit Erkrankungen wie Demenz, was ein Risiko für die gesamte Gesellschaft darstellt“, sagt Dr. Dr. Jun Hatazawa, Geschäftsführer der Japan Radioisotope Association. Während seiner 40-jährigen Tätigkeit in der Nuklearmedizin hat Hatazawa die Entwicklung des Fachgebiets miterlebt, das sich ständig an den technologischen Fortschritt und die sich ändernden Bedingungen in der Gesundheitsversorgung anpasst.

Die Nachfrage nach nuklearmedizinischen Untersuchungen in der Neurologie ist teilweise auf die hohe Verfügbarkeit dieser Technologie in Japan zurückzuführen. Abgesehen davon wird nuklearmedizinische Bildgebung in der Neurologie auch deshalb immer stärker eingesetzt, weil sie objektive Belege liefern kann. „In der klinischen Routine werden Patient*innen mit Verdacht auf kognitive Beeinträchtigungen neurologisch und psychiatrisch anhand von Interviewfragen beurteilt. Das ist eine unspezifische und subjektive Methode. SPECT und PET können dagegen objektive Hinweise auf solche Krankheiten liefern“, sagt Dr. Hatazawa.

SPECT (Einzelphotonen-Emissions-Computertomographie) und PET (Positronen-Emissions-Tomographie) machen die Anreicherung von radioaktiven Markern im Körper sichtbar. Diese Marker zeigen Stoffwechselvorgänge in Organen, in denen es zu einer Anreicherung dieser Marker kommt. Eine abnormale Markeranreicherung kann auf eine Krankheit oder eine anormale Funktion hinweisen.

Molekulare Bildgebung

Mehr über die Nuklearmedizin erfahren

SPECTPET/CT
Dr. Dr. Jun Hatazawa, MD, PhD, ist Geschäftsführer der Japan Radioisotope Association. Davor war er Professor für Nuklearmedizin und Tracer-Kinetik an der Osaka University Graduate School of Medicine.
Jun Hatazawa, MD, PhD, currently serves as chief executive director of the Japan Radioisotope Association

Dr. Hatazawas Spezialgebiete sind die funktionelle Bildgebung des menschlichen Gehirns, die Frühdiagnose bösartiger Tumore und die Radionuklidtherapie. Als beratendes Mitglied der Internationalen Atomenergie-Organisation setzt er sich für den sicheren Einsatz von Radioisotopen in der Medizin ein. Er engagiert sich in der Lehre und hält als Vorsitzender der Asia Oceania Federation of Nuclear Medicine and Biology regelmäßig Weiterbildungsseminare in ganz Asien und im Nahen Osten.

Hatazawa erklärt, wie die Einführung eines Glukoseanalog-Markers in der PET-Bildgebung zu einem Rückgang von SPECT-Untersuchungen in Japan führte. Entgegen diesem Trend wird die SPECT-Technologie bei neurologischen Untersuchungen aber auch weiterhin stark genutzt. Zum aktuellen Einsatz der Nuklearmedizin bei der Beurteilung von neurologischen Fällen meint er: „Die Nachfrage nach nuklearmedizinischer Bildgebung in der Neurologie steigt auch in dieser schwierigen Zeit der COVID-19-Pandemie weiter.“

Die objektiven Nachweise, welche die Nuklearmedizin liefert, sind entscheidend für die Überwachung des Krankheitsverlaufs und die Beurteilung der Wirksamkeit des Behandlungsplans. Diese Nachweise werden auch bei der zu erwartenden Einführung neuer Therapeutika eine wichtige Rolle spielen.

Dr. Dr. Hiroshi Matsuda, Direktor des Cyclotron and Drug Discovery Research Center am Southern Tohoku Research Institute for Neuroscience, weist auf die Bedeutung der objektiven und quantitativen Natur der Nuklearmedizin hin, die es Ärzten ermöglicht, neue Therapeutika zu nutzen, indem sie „das kritische Zeitfenster für den Einsatz krankheitsmodifizierender Medikamente“ erkennen können. Zur Veranschaulichung verweist Dr. Matsuda auf seine Forschung in der Dopamintransporter (DaT)-Bildgebung zur Diagnose von Bewegungsstörungen wie der Parkinson-Krankheit. Patient*innen mit Parkinson entwickeln verschiedene motorische Symptome wie Ruhetremor, Steifheit und Verlangsamung bei der Einleitung von Bewegungen, was zu einem erhöhten Sturz- und Frakturrisiko führen kann. Das Einsetzen der Krankheit impliziert einen selektiven Verlust von dopaminproduzierenden Neuronen, die spezifisch für die Substantia nigra Struktur im Mittelhirn sind und die eine wichtige Rolle bei Belohnung und Bewegung spielen.[1] Die DaT-Bildgebung mit SPECT/CT ermöglicht die Visualisierung des striatalen Dopamintransportermangels, der mit der Parkinson-Krankheit in Verbindung steht.[2] Das Corpus striatum gehört zu den neuronalen Regelkreisen, die für das Zusammenspiel von Motivation, Emotion, Kognition und Bewegung auf neuronaler Ebene zuständig sind.

Dopamin ist ein wichtiger Neurotransmitter im Gehirn. Es hat motivations- und antriebssteigernde Wirkung. Ist der Spiegel dieses Neurotransmitters zu niedrig oder zu hoch, dann können Parkinson- oder Manie-ähnliche Symptome auftreten.

In einer Studie, an der mehrere Zentren beteiligt waren, bauten Matsuda und sein Team eine Normaldatenbank für quantitative DaT-Bildgebung auf. Dabei bestätigten sie, dass die Dopamintransporterdichte stark vom Alter abhängt[3]. Dr. Matsuda dazu: „Die Dopamintransporterdichte nimmt alle 10 Jahre um sechs Prozent ab. Das ist bei einem 70-Jährigen ein Rückgang von fast 25 Prozent gegenüber einem 30-Jährigen. Moderne SPECT/CT bietet eine Schwächungskorrektur und ist wichtig für die genaue Messung der Rezeptordichte. Mit einer objektiven Beurteilung können wir das Auftreten von Bewegungsstörungen vorhersagen. Das ist für die Vorbeugung der Parkinson-Krankheit nützlich.“


Schwächungskorrektur ist ein Mechanismus, der Artefakte aus klinischen Bildern entfernt.


Neben Bewegungsstörungen können SPECT/CT-Untersuchungen auch relative Veränderungen des Blutflusses nachweisen. Im Gegensatz zu anderen Organen kann Hirngewebe keine Energie speichern; es benötigt eine ständige Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen aus dem Blut. Zerebrale Perfusions-SPECT/CT zeigt, wie das Gehirn durchblutet wird und ermöglicht die Visualisierung von Hirnfunktionsstörungen, die auf eine zugrunde liegende zerebrale Pathologie hinweisen. Symptome einer kognitiven Beeinträchtigung können zum Beispiel auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden. Solche Verhaltensänderungen gehen zerebralen Strukturveränderungen aufgrund von Atrophie voraus. In diesen Fällen können mittels Perfusions-SPECT/CT sichtbar gemachte funktionelle Beeinträchtigungsmuster bei der Differentialdiagnose von Demenztypen im Frühstadium hilfreich sein.[4]

SPECT-Untersuchungen zeigen, wie wichtig die Nuklearmedizin in der neurologischen Bildgebung ist, und die jüngsten Entwicklungen neuer PETNET-Tracer steigern die Erwartungen an die molekulare Bildgebung noch. Seit 2012 wurden drei neue PET-Tracer von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) für die Bildgebung von Amyloid-Plaque-Akkumulationen zugelassen. Die Scans müssen von geschulten Befunder*innen visuell auf einen positiven oder negativen Befund interpretiert werden.[5] Eine an mehreren Zentren durchgeführte Studie zur Beurteilung der Wirksamkeit eines Amyloid-Tracers in Japan ergab, dass bis zu 10 Prozent der Fälle eine fokale, leichte Erhöhung zeigen, die entweder als negativ oder positiv interpretiert werden kann.[6]


Beta-Amyloid ist ein Fragment eines Proteins. In einem gesunden Gehirn werden diese Fragmente abgebaut und zerstört. Bei der Alzheimer-Krankheit reichern sie sich zu harten, unlöslichen Plaques an.

Dr. Dr. Hiroshi Matsuda, ist Direktor des Cyclotron and Drug Discovery Research Center am Southern Tohoku Research Institute for Neuroscience. Zuvor war er als Generaldirektor am Integrative National Centre for Neurology and Psychiatry in Tokio, Japan, tätig.
Hiroshi Matsuda, MD, PhD, is the current director of the Cyclotron and Drug Discovery Research Center at the Southern Tohoku Research Institute for Neuroscience.

Als Experte sowohl für Nuklearmedizin als auch für Magnetresonanztomographie war Dr. Matsuda der leitende Prüfarzt des MRI-Core in der Japanese Alzheimer’s Disease Neuroimaging Initiative (J-ADNI). Seine Forschungen führten zur Etablierung von Softwareprogrammen zur statistischen Bildanalyse für die Interpretation von zerebralen Perfusions-SPECT-Untersuchungen und zur voxelbasierten Morphometrie bei Hippocampus-MRTs, welche bei der Diagnose der Alzheimer-Krankheit eingesetzt werden.

Zur Ermittlung des Bedarfs für Quantifizierung von Amyloid-Scans verwendeten Matsuda und seine Kollegen die Centiloid-Skala, eine 100-Punkte-Skala, die ein standardisiertes quantitatives Messsystem für Amyloid-Bilder darstellt. Ein Wert von Null kann als amyloid-negativ interpretiert werden. Dr. Matsuda dazu: „Wir haben den Schwellenwert für die Centiloid-Skala bestimmt; dieser hilft bei der visuellen Beurteilung.“[7]

Neben PET/CT ist auch PET/MR wichtig in der Amyloid-Bildgebung, so Matsuda. „Um Amyloid-Bilder auszuwerten, müssen wir Akkumulationen in der kortikalen Substanz von denen in der weißen Substanz unterscheiden. Überlagerung von MR- und Amyloid-PET-Bildern zeigt genau, ob die erkannten Signale für die Interpretation nützlich sind.“ In seiner aktuellen Forschung befasst sich Matsuda mit der Erweiterung der Möglichkeiten von PET/MR.

Positronen-Emissions-Tomographie/Magnetresonanz-Tomographie ist eine hybride Bildgebungstechnologie, die funktionelle Bildgebung mit PET und morphologische Bildgebung von Weichgewebe mit MRT kombiniert.
Biograph mMR


Das Wachstum der nuklearmedizinischen Bildgebung in der Neurologie in Japan ist zum Teil auf deren erfolgreiche Förderung durch die nuklearmedizinische Community zurückzuführen. „In der japanischen Gesellschaft für Nuklearmedizin kommen etwa 10 Prozent der Mitglieder aus der Neurologie, Chirurgie und Psychiatrie. Wir haben uns an andere Gesellschaften gewandt und immer wieder nuklearmedizinische Workshops organisiert. Wir haben viele ausgeklügelte Methoden entwickelt, denn wenn die überweisenden Ärzt*innen nichts von der Methode wissen, dann sind unsere Leistungen für Patient*innen auch nicht zugänglich“, sagt Dr. Hatazawa.

Hatazawa leitete viele Jahre lang die Asia Oceania Federation of Nuclear Medicine and Biology. Während seiner Amtszeit setzte er sich für eine verstärkte Aus- und Weiterbildung für Nuklearmediziner*innen ein. Er berichtet, dass in Entwicklungsländern Regierungen manchmal nuklearmedizinische Einrichtungen gründen und diese dann mit medizinischem Fachpersonal besetzen, das nicht ausreichend ausgebildet ist. „Wir haben 84 Mitgliedsstaaten, und die nuklearmedizinische Praxis ist in diesen Staaten sehr heterogen. In Entwicklungsländern ist das Wichtigste die Ausbildung“, sagt er.



Trotz aller Herausforderungen sieht Dr. Hatazawa die Entwicklung der Nuklearmedizin und deren zukünftige Möglichkeiten besonders für die Neurologie positiv: „Ich freue mich sehr über die technischen Fortschritte, die ich im Laufe meiner Karriere miterleben durfte, und ich bin von den Zukunftschancen der nuklearmedizinischen Bildgebung in der Neurologie überzeugt.“

Von Takeshi Shimizu
Dr. Takeshi Shimizu ist ein Spezialist für klinisches Marketing im Bereich molekulare Bildgebung bei Siemens Healthineers. Er hat einen Doktortitel in Biochemie, Mikrobiologie und Molekularbiologie und arbeitete vor seiner jetzigen Tätigkeit zehn Jahre lang als wissenschaftlicher Koordinator für molekulare Bildgebung bei Siemens Healthineers in Japan.