Bildgebung

„Diese Technologie wird bleiben“

An vorderster Front der Schlaganfall- und Neurologieversorgung bietet die photonenzählende Computertomographie (CT) eine hohe räumliche Auflösung. So können Ärzt*innen feine Läsionen und anatomische Strukturen beurteilen.
4min
Doris Pischitz
Veröffentlicht am November 28, 2022

Außerordentlicher Professor Dr. med. Dr. rer. nat. Tobias Granberg spricht über seine Erwartungen und Erfahrungen.

Tobias Granberg ist Forschungsgruppenleiter am Karolinska-Institut und Bereichsleiter der Abteilung für Neuroradiologie am Karolinska University Hospital in Stockholm, Schweden. Er leitet die klinische Implementierung und technischen Entwicklungen des dort installierten photonenzählenden CT-Systems NAEOTOM Alpha1 für neurologische Anwendungen.

Wir haben unser NAEOTOM Alpha System im September 2021 in Betrieb genommen. Wir erwarteten diagnostische Scans mit höherer räumlicher Auflösung und geringerem Rauschen. Außerdem hofften wir, sowohl die ionisierende Strahlung als auch die Kontrastmitteldosis reduzieren zu können. Wir wollten Dual Source auch für schnelle Scans mit Multi-Energie-Erfassungen einsetzen.

In der Neurologie besteht die größte Herausforderung bei CT-Anwendungen darin, einen hohen Gewebekontrast zu erzielen und gleichzeitig Strahlenaufhärtung und Schüsselartefakte zu minimieren. In unserer Praxis führen wir mit unseren konventionellen Scannern routinemäßig Dual-Energy-Scans durch, um eine optimale Differenzierung zwischen grauer und weißer Substanz, Knochenentfernung und Jod-/virtuelle kontrastlose Abbildungen zu erreichen. Das ist jedoch mit längeren Scanzeiten verbunden, was zu Bewegungsartefakten führen kann. Diese Strategie eignet sich also nicht immer. Dieses Dilemma lässt sich lösen, indem man Multi-Energie-Daten bei schnellen Scanzeiten gewinnt.
Die offensichtlichste Verbesserung in Bezug auf die diagnostische Qualität ist die höhere räumliche Auflösung. Wir verwenden sie hauptsächlich für Schläfenbein-Scans [Abbildung 1], aber auch für Angiographien ist sie nützlich. Außerdem konnten wir die Kontrastmitteldosis bisher um etwa 30 Prozent senken. Wir gehen davon aus, dass wir da noch mehr erreichen werden. Dual- oder Multi-Energie-Daten in Fast-Scan-Modi (FLASH) haben sich ebenfalls bewährt.

Tobias Granberg reports on photo-counting CT in neurology.

Unsere Patient*innen profitieren davon, dass wir jetzt mit schnellen Scan-Modi das Risiko von Bewegungsartefakten verringern und dabei dennoch Dual- oder Multi-Energie-Daten erhalten können. Wir konnten auch zeigen, dass Abschwächungsmessungen mit photonenzählender CT stabiler sind als mit unseren herkömmlichen Scannern. Dies eröffnet viele interessante Möglichkeiten, nicht zuletzt für die Volumetrie des Gehirns. Das ist ein wichtiger Bereich der Neurodegeneration, der bisher hauptsächlich auf hochwertige 3D-MRT (Magnetresonanztomographie) angewiesen war. Wir wollen nun untersuchen, ob wir ähnliche Daten für Demenzuntersuchungen mit CT statt MRT liefern können.
Die verbesserte Bildqualität gibt uns mehr Sicherheit bei der Befundung der Bilder. Den größten Nutzen sehen wir bei der Beurteilung der Cochlea und der kleinsten Mittelohrknochen [Abbildung 1]. Interessanterweise sehen wir jetzt neue anatomische Details, die in der Literatur noch gar nicht dokumentiert sind. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir Pathologien in den kleinsten Gehirngefäßen zuverlässiger beurteilen können.
Photonenzählende CT-Untersuchung des Schläfenbeins
Das neue System kommt allen Patient*innen zugute, für die eine geringere ionisierende Strahlendosis besonders wichtig ist – insbesondere Kindern, jungen Erwachsenen und Schwangeren. Bisher waren etwa zehn Prozent unserer Scan-Patient*innen Kinder, und es ist schön zu sehen, dass die Dosisreduzierung ihnen bereits zugutekommt. Ein weiteres konkretes Beispiel sind Patient*innen, die eine Angiografie benötigen, aber aufgrund einer eingeschränkten Nierenfunktion keine konventionellen Jodkontrastmittel vertragen. Jetzt brauchen wir nur noch die halbe Kontrastmitteldosis oder sogar weniger, sodass wir viele dieser Patient*innen scannen können. Das ist besonders hilfreich, wenn MRT oder Ultraschall nicht in Frage kommen.
Bei allen neurologischen Scans mit unseren konventionellen Systemen verwenden wir gewöhnlich Dual Energy. Das tun wir auch jetzt mit unserem NAEOTOM Alpha System. Mit Hilfe der Jodkarten und der virtuellen kontrastmittelfreien Bilder können wir unter anderem beurteilen, ob es sich bei intraaxialen Befunden mit stark abschwächendem Material eher um Blut, Jod oder Verkalkungen handelt. Der auf Multi-Energie-Daten basierende Materialabbau ermöglicht uns robustere Messungen als mit unseren Dual-Energy-Systemen möglich sind.
Diese Bilder sind weniger anfällig für bestimmte Artefakte. Außerdem sind sie bei Patient*innen, die im Zeitverlauf weiter beobachtet werden, besser vergleichbar. Ich gehe davon aus, dass sich im Lauf der Zeit immer mehr Vorteile monoenergetischer Bilder für unsere radiologischen Beurteilungen auftun werden.
Wir verwenden das System im Grunde wie jeden anderen klinischen CT-Scanner. Im ersten Jahr haben wir fast 3.000 Scans aller Organe durchgeführt. Etwa zehn Prozent davon waren Notfall-Scans.
Ein Beispiel war ein Patient, der mit einem akuten/subakuten Infarkt im Bereich der linken hinteren Hirnarterie eingeliefert wurde. Er hatte eine stark eingeschränkte Nierenfunktion, so dass wir normalerweise keine Angiographie hätten durchführen können. Aber ein Ultraschall hätte die intrakraniellen Gefäße nicht sichtbar gemacht, und eine MRT zu verordnen, hätte Zeit gekostet. Wir beschlossen, eine mehrphasige Angiographie mit der Hälfte der normalen Kontrastmittelgabe durchzuführen. Das lag im Rahmen dessen, was bei diesem Patienten vertretbar war. Die Bilder hatten immer noch eine hohe diagnostische Qualität [Abbildung 2]. Es ist schon mehrfach vorgekommen, dass photonenzählende CT in solchen Situationen die Problemlösung war.
Das Wichtigste bei wachsenden Datenmengen sind automatisierte und standardisierte Anzeigeprotokolle im PACS (Bildarchivierungs- und Kommunikationssystem), damit die Informationen immer dort zur Verfügung stehen, wo man sie braucht. Ich hoffe, dass KI die Erstellung dieser Protokolle erleichtern wird und dass Algorithmen unser Kontrast-Rausch-Verhältnis und die räumliche Auflösung weiter verbessern können.
Ich denke, dass stabilere Abschwächungswerte, virtuelle monoenergetische Bildgebung und Multi-Energie-Daten einige der Anwendungen in Frage stellen könnten, für die wir derzeit andere Modalitäten verwenden. Wir werden CT-Daten eher so denken müssen, wie wir derzeit MRT-Daten sehen, nämlich mit unterschiedlichen Gewichtungen, um die gewünschten Gewebeeigenschaften hervorzuheben. Außerdem nutzen wir derzeit die erhöhte Jodempfindlichkeit und die verbesserte räumliche Auflösung, um unsere Hirnangiographien zu verbessern. Ziel ist, dass wir für diagnostische Zwecke weniger konventionelle interventionelle digitale Subtraktionsangiographien brauchen – zum Beispiel bei Patient*innen mit Verdacht auf Vaskulitis oder kleine Gefäßfehlbildungen. So könnten wir die klinisch notwendigen Informationen erhalten und zugleich das Risiko für die Patient*innen verringern.
Photonenzählung wird bleiben. Wir befinden uns derzeit in der Anfangsphase, in der die Protokolle noch stark optimiert werden müssen, um den Scanner bestmöglich zu nutzen. Mit der Zeit, und sobald die Technologie auch in Single-Source-CT-Scannern eingeführt ist, wird sie vielen Patient*innen weltweit zugutekommen.

Von Doris Pischitz
Doris Pischitz ist Redakteurin in der Unternehmenskommunikation bei Siemens Healthineers. Das Team ist spezialisiert auf Themen rund um Gesundheit, Medizintechnik, Krankheitsbilder und Digitalisierung.