Neurologie

Sekundäre Schlaganfälle lassen sich vermeiden

Bis zu 20 Prozent der Schlaganfallüberlebenden erleiden innerhalb von fünf Jahren einen weiteren Schlaganfall [1]. Wie der Betroffene Stéphane das vermieden hat, indem er die Ursache bekämpfte.
Meike Feder
Veröffentlicht am April 29, 2024
Vor vier Jahren hatte Stéphane einen Schlaganfall. „Nicht jeder bekommt in seinem Leben eine zweite Chance“, sagt er. Doch er hatte Glück.

Dank der schnellen Reaktion seiner Frau und des medizinischen Personals überlebte er ohne körperliche und geistige Einschränkungen. „Für mich war von Anfang an klar, dass ich keinen weiteren Schlaganfall bekomme: Ich war mir noch während der akuten Behandlung sicher, das wird mir nicht noch einmal passieren“, erinnert er sich heute. 

Wie viel Glück er wirklich hatte, erfuhr Stéphane erst später: Von den mehr als 12 Millionen Menschen, die jährlich einen Schlaganfall erleiden, sterben 6,5 Millionen, viele tragen dauerhafte Einschränkungen davon [2]. Doch auch auf den gesund überlebenden Betroffenen liegt ein Schatten: Tatsächlich erleiden bis zu 20 Prozent der Menschen, die einmal einen Schlaganfall hatten, innerhalb von fünf Jahren einen weiteren [1]. 

Stéphanes Ärzt*innen gaben ihm eine Chance, diesem Schicksal zu entgehen, indem sie die Ursache für seinen Hirninfarkt fanden – ein offenes Foramen Ovale (PFO). Bei vielen bleibt dies unerkannt und sie leben beschwerdefrei damit, jedoch kann es zum Schlaganfall führen. „Obwohl mein Vater Kardiologe war, wusste ich nie von diesem Loch. Auch bei Untersuchungen im Erwachsenenalter wurde es nie entdeckt. Erst nach meinem Schlaganfall suchten die Ärzt*innen gezielt nach der Ursache und fanden die Öffnung.“

Das ist eine segelförmige Öffnung zwischen dem rechten und linken Vorhof des Herzens, die im Fötus während der Schwangerschaft ausgebildet ist zur Umgehung des Lungenkreislaufes dient. Spätestens im Alter von zwei Jahren verschließt sich beim Menschen das Foramen ovale von selbst. Es kommt aber auch vor, dass es offen bleibt, dann heißt es persistierendes Foramen Ovale (PFO) [3]



Für Stéphane war sofort klar, dass er sich am Herzen operieren lassen würde – die minimalinvasive Operation gab ihm mehr Gewissheit, dass in Zukunft kein Blutgerinnsel mehr ins Hirn wandern und dort einem Schlaganfall verursachen kann. „Ich hatte einmal Glück – ich wollte kein Risiko eingehen.“

Ein Schlaganfall kann verschiedene Ursachen haben und muss daher auch von Fall zu Fall unterschiedlich behandelt werden. Bleibt die zugrundeliegende Erkrankung unbehandelt, ist daher auch ein Rückfall sehr wahrscheinlich [1]. Beeinflussbare Risikofaktoren für einen Schlaganfall sind unter anderem Bluthochdruck, Diabetes, Adipositas, Rauchen und ein hoher Cholesterinspiegel – besonders, wenn mehrere dieser Faktoren in Kombination vorliegen. Die häufigste konkrete Ursache für einen Schlaganfall ist das Vorhofflimmern, wodurch sich kleine Gerinnsel im Herzen bilden können [4], die ins Gehirn wandern und den Blutfluss blockieren können. Bei Stéphane wanderten aufgrund seiner PFO (siehe Infobox) kleine Gerinnsel ins Gehirn.

„Wenn Sie einen Schlaganfall beispielsweise aufgrund einer Halsschlagaderstenose erlitten haben, bedeutet das nicht, dass dies auch der alleinige Auslöser für einen zweiten Schlaganfall in der Zukunft sein wird. Es könnte sein, dass Sie zusätzlich eine zugrundeliegende Herzerkrankung haben und der künftige Schlaganfall daraus resultiert“, sagt Prof. Dr. Mira Katan, Leiterin der Stroke Unit und stellvertretende Leiterin der Akutneurologie am Universitätsspital Basel. 

„Wir müssen bei einer sehr gründlichen Abklärung nach allen möglichen zugrundeliegenden Erkrankungen schauen um uns ein vollständiges Bild von unseren Patient*innen zu machen, um einen weiteren Schlaganfall verhindern zu können.“ Bei Stéphane lief die akute Versorgung sehr gut – parallel dazu wurde auch die Suche nach der zugrundeliegenden Ursache begonnen.

Eine Halsschlagaderstenose, auch Carotis Stenose genannt, erfolgt nach einer fortschreitenden Gefäßverkalkung (Arteriosklerose). Das Gehirn wird dann nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt und Schlaganfall kann eine mögliche Folge sein. [7]

„Die sekundäre Schlaganfallprophylaxe beginnt am Tag nach dem Schlaganfall. Das muss so schnell gehen, weil es zu einem frühen Rezidiv kommen kann, insbesondere bei leichten Schlaganfällen“, erklärt Prof. Dr. Carlos Molina, der als Leiter der Schlaganfall-Forschungsgruppe und der Neurologie-Sektion im Vall d'Hebron Universitätskrankenhaus in Barcelona tätig ist. „Diese Fälle wirken zwar weniger schwerwiegend, haben aber ein hohes Risiko für ein Wiederauftreten – in einigen Fällen kann das Risiko innerhalb der ersten Woche 60 Prozent betragen.“
A man in an orange jacket - stroke survivor Stéphane - is sitting on a rock by a mountain lake.

Schlaganfallzentren, wie jenes am Universitätsspital Basel binden schon in ihren Ablauf für die akute Schlaganfallversorgung eine standardisierte Diagnostik ein, um in einem ersten Schritt sofort ischämische von hämorrhagischen Schlaganfällen zu unterscheiden, da die Akutbehandlung grundlegend anders ist, aber das klinische Erscheinungsbild das gleiche sein kann. „Der Goldstandard für den Ausschluss eines hämorrhagischen Schlaganfalls ist in den meisten Einrichtungen ein CT-Scan. Wenn wir keine Blutung finden, führen wir noch eine Angio-Computertomographie durch, mit der wir gleichzeitig auch die Gefäße betrachten und zum Beispiel den Verschluss großer Gefäße (LVO) identifizieren können. Und abhängig von einigen anderen Informationen auch Perfusionsbildgebung“, beschreibt Prof. Katan das Standardverfahren. 

Die Unterscheidung zwischen ischämischem Schlaganfall und hämorrhagischem Schlaganfall (Definition siehe Infobox) durch CT Scans ist für erfahrene Ärzt*innen Standard. Als Grundlage für die akute und langfristige Therapie gibt es aber noch weitere wichtige Informationen zu sammeln. 

Und dann gibt es Patient*innen mit schlaganfallähnlichen Symptomen, bei denen die Bildgebung dann aber eine andere Ursache identifiziert. „Es ist wichtig, das alles zu unterscheiden, weil man diese Ursachen unterschiedlich behandelt. Gleichzeitig gilt ‚Time is brain‘, das heißt, wir müssen schnell handeln. Etwa 1,9 Millionen Neuronen sterben durchschnittlich in nur einer Minute nach einem Schlaganfall. Zeit spielt also wirklich eine Rolle“, sagt Prof. Katan.

Bei der Perfusionsbildgebung wird mithilfe von Kontrastmittel die Durchblutung des Gehirns gemessen und bildlich dargestellt. [9]
Das englische FAST (übersetzt: SCHNELL) gibt einen guten Merksatz, wie Schlaganfälle zu erkennen sind.

Nach der akuten Behandlung und der Ursachenbestimmung geht es direkt weiter zur langfristigen Therapie. Gerade in Bezug auf einen Folgeschlaganfall liegt eine große Herausforderung vor den Betroffenen und dem medizinischen Personal. Prof. Molina und Prof. Katan sehen eine große Chance in einer zuverlässigen Nachversorgung. „Das Problem bei einem Schlaganfall ist, dass es den Patient*innen damit ähnlich ergeht wie bei einem Autounfall. Man möchte ihn vergessen, sich nicht erinnern müssen. Das ist ein typisches menschliches Verhalten“, erklärt Prof. Molina.

„Einen Monat nach dem Schlaganfall setzen Patient*innen daher vielleicht die Medikamente einfach ab, weil sie sich wieder gesund fühlen. Sie denken, es geht mir ja wieder gut. Aber sie wissen nicht, dass sie eine tickende Zeitbombe in sich tragen. Wenn sie die Medikamente nicht nehmen, wird er wieder auftreten.“ Halten Patient*innen zuverlässig ihre Therapie, ihre Medikation und ihre regelmäßigen Checks ein, ist daher viel gewonnen – wie dies in Zukunft zu erreichen ist, darüber sprechen die Ärztin und der Arzt unter anderem in unserem Podcast

Stéphane hatte eine innere Überzeugung, nie mehr einen Schlaganfall bekommen zu können. Doch er hilft seinem Glück auf die Sprünge: Er lebt heute bewusster und hört auf seinen Körper, legt Pausen ein, wenn er sich erschöpft fühlt. Er treibt viel Sport und geht zu Check-ups. Das Thema Schlaganfall lässt ihn dennoch nicht los: „Wann immer ich einen Krankenwagen mit Blaulicht durch die Stadt fahren sehe, denke ich ‚Da hat jemand einen Schlaganfall‘. Das lässt mich nicht los.“

Mehr Hintergründe und Informationen zu diesem Thema erfahren Sie von den Expert*innen in der neuen Folge unseres Podcasts Healthcare Perspectives (english)

Improving pathways and prevention in stroke care
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Improving pathways and prevention in stroke care
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Hear about the stroke pathway and secondary stroke risk as well as the underlying diseases that are connected to stroke and how they can be identified and treated.

Von Meike Feder

Meike Feder ist Redakteurin bei Siemens Healthineers. Ihr Fokus liegt auf Themen rund um die Patient*innenversorgung.