Kardiologie

Herzgesundheit für Sportlerinnen und Sportler

Die kardiovaskuläre Versorgung von Sportler*innen ist vielschichtig. Während sportliches Training und regelmäßige Bewegung allgemein die Herzgesundheit fördern, können sie auch das Risiko eines plötzlichen Herzstillstands erhöhen.
3min
Doris Pischitz
Veröffentlicht am August 19, 2024
Im Jahr 2013 brach Daniel Engelbrecht während eines Profi-Fußballspiels plötzlich auf dem Spielfeld zusammen. Die Diagnose: Myokarditis und Arrhythmie. Sportler*innen, die derartige Symptome aufweisen, eine familiäre Vorgeschichte oder eine bereits bestehende Herzerkrankung haben, benötigen zusätzliche Diagnostik und Betreuung.
"Wir wissen, dass Bewegung Medizin ist", sagt Dr. Jonathan Kim, Professor und Gründungsdirektor für Sportkardiologie an der Emory University, Atlanta, USA, und Teamkardiologe für Georgia Tech sowie die Atlanta Falcons, Hawks und Braves. Er ermutigt die Menschen, so viel Sport wie möglich zu treiben – und möchte gleichzeitig sicherstellen, dass Sportbegeisterte ihren Sport sicher ausüben.

Dr. Jonathan Kim, Professor und Gründungsdirektor der Emory University Sportkardiologie, Atlanta, USA.

Obwohl selten, gibt es Fälle, in denen Profisportler*innen einen plötzlichen Herzstillstand erlitten haben. Zu den jüngsten Beispielen gehören der Zusammenbruch des Profifußballers Nabil Bentaleb vom französischen Verein OSC Lille und der tragische Tod des 17-jährigen chinesischen Badminton-Talents Zhang Zhijie während der Badminton Asia Junior Championships.
Einen plötzlichen Herzstillstand auf dem Spielfeld erlitt auch der ehemalige deutsche Fußballer Daniel Engelbrecht. Seine Herzerkrankung, die Myokarditis, wurde mit einer Infektion in Verbindung gebracht, die er einige Monate vor dem Vorfall hatte. Engelbrecht war 22 Jahre alt, als das lebensbedrohliche Ereignis passierte – und fühlte sich "großartig an diesem Tag, in der Form meines Lebens. Ich war so gut in Form. Und ich hatte keine Ahnung, dass mit meinem Herzen etwas nicht stimmte."

Selbst nachdem er zusammengebrochen war, dachte niemand, dass Engelbrechts Herz der Grund war. Bei seinem nächsten Spiel drei Wochen später gab er dem Trainer ein Zeichen, ausgewechselt zu werden – dann wurde er in die Notaufnahme gebracht. Die Herzmuskelentzündung (Myokarditis) wurde schließlich mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) diagnostiziert. "Der Arzt sagte, ich hätte Glück gehabt, dass mein Herz nicht aufgehört hat zu schlagen, als ich allein zu Hause oder beim Training war. Ich hätte Glück, noch am Leben zu sein."

Portraitfoto Daniel Engelbrecht, ehemaliger deutscher Fußballprofi

Professor Kim rät, jedes Warnzeichen ernst zu nehmen: "Während des Trainings Brustschmerzen, Brustdruck, Kurzatmigkeit, die in keinem Verhältnis zu dem steht, was Sie tun, unregelmäßige Herzschläge ... Und dann ein kritischer Punkt: Wenn man während des Trainings fast oder ganz ohnmächtig wird – wenn eine Athletin oder ein Athlet mit diesen Beschwerden zu mir kommt, sage ich ihnen, dass sie nicht trainieren können, bis wir herausgefunden haben, was los ist."
Neben der Myokarditis gehören zu den Risikofaktoren für jüngere Sportler*innen auch angeborene Herzerkrankungen wie genetische Kardiomyopathien oder genetische Arrythmiesyndrome. Damit junge Athlet*innen sicher an ihrem Sport teilnehmen können, befolgt Kim zunächst die  Empfehlungen des American College of Cardiology (ACC) und der American Heart Association (AHA) und beginnt mit einer herzspezifischen Anamnese und körperlichen Untersuchung vor der sportlichen Aktivität. Obwohl dies derzeit nicht in den Leitlinien vorgeschrieben ist, kann auch ein Screening-Elektrokardiogramm (EKG) einbezogen werden. Dies erfordert allerdings eine sorgfältige Abwägung des Fachwissens, das für EKG-Interpretationen erforderlich ist, und der nachgelagerten Ressourcen, die für die weitere(n) Beurteilung(en) eines abnormalen EKG-Befundes zur Verfügung stehen.

Im Jahr 2014 veröffentlichten das American College of Cardiology und die American Heart Association gemeinsam eine 14-Punkte-Empfehlung, um junge Menschen mit einem Risiko für einen plötzlichen Herzstillstand zu identifizieren. Es umfasst die persönliche und familiäre Anamnese sowie eine herzspezifische körperliche Untersuchung.
ACC/AHA Release Recommendations For Congenital and Genetic Heart Disease Screenings in Youth [EN]

"Eine wichtige Herausforderung besteht darin, dass wir keine wirklich belastbaren Daten haben, die eindeutig zeigen, dass die EKG-Untersuchung ergänzend zu allen anderen Maßnahmen, die wir im Rahmen des Screenings ergreifen, die Ergebnisse verbessert", fasst Kim die aktuelle Forschung zusammen. Er warnt davor, dass ein Kardiologe oder eine Kardiologin ohne Erfahrung in der Interpretation eines Sportler*innen-EKGs mehr falsch-positive Ergebnisse beim Lesen der EKG-Daten eines Athleten oder einer Athletin produziert. Darüber hinaus können junge, aufstrebende Athlet*innen je nach Versicherungsstatus oder Verfügbarkeit von Expert*innen möglicherweise nicht die erforderlichen Nachuntersuchungen erhalten, wenn keine nachgelagerten Ressourcen für intensivere Screenings vorhanden sind. Kim ist daher der Meinung, dass bei der Entwicklung von Herzscreening-Programmen, die ein EKG einschließen, eine sorgfältige Planung erforderlich ist. Das gilt insbesondere im Hinblick auf das verfügbare Fachwissen der Ärztinnen und Ärzte und die nachgelagerten Ressourcen, um vergleichbare Ergebnisse für alle Sportler*innen zu erzielen.

Kim macht sich insbesondere stark für Notfallpläne für den Fall eines Herzvorfalls auf dem Spielfeld – oder anderswo: "Stellen Sie den Zugang zu automatisierten externen Defibrillatoren (AEDs) sicher, lernen Sie die Herz-Lungen-Wiederbelebung (HLW), damit wir im Katastrophenfall das Leben dieses jungen Menschen retten, egal ob es sich um einen Sporttreibenden oder einen Nicht-Sporttreibenden in einer Schule handelt!"


Dr. Jonathan Kim, Professor und Gründungsdirektor der Emory University Sportkardiologie, Atlanta, USA.

Kim bezieht sich auf Damar Hamlin, den Safety der Buffalo Bills, der am 2. Januar 2023 während eines Spiels einen Herzstillstand erlitt. In seinem Fall wurde dieser durch Commotio cordis verursacht. Dieses Herztrauma wird durch einen direkten Schlag auf die Brust über dem Herzen während eines sehr engen Fensters innerhalb des Herzzyklus ausgelöst und kann Kammerflimmern und Herzstillstand verursachen. Tatsächlich ist es eine der bekanntesten Ursachen für den plötzlichen Herztod bei Sportler*innen [1], und kein Screening kann sie verhindern. Notfallpläne, sofortige HLW und AED-Verfügbarkeit unterstützen die Überlebensraten. Daher ist Hamlin heute ein starker öffentlicher Fürsprecher, diese an Schulen zur Verfügung zu stellen, insbesondere in unterversorgten Vierteln.

Während Damar Hamlin wieder auf dem Football-Platz steht, musste Daniel Engelbrecht schließlich seinen Kindheitstraum aufgeben, Profifußballer zu werden. Nach vier Herzoperationen, darunter der Implantation eines Defibrillators, kehrte Engelbrecht im November 2014 als erster Profifußballer mit einem implantierten Defibrillator in Deutschland auf den Platz zurück. Heute nennt Engelbrecht diesen Defibrillator seinen "Schutzengel", weil er ihm schon mehrfach das Leben gerettet hat. Das Wiederauftreten seiner Herzprobleme war der Grund, warum er sich endgültig vom Profisport zurückzog: "Es war die schwierigste Entscheidung für mich, mit dem Fußball aufzuhören, weil es das war, was ich am meisten liebte. Trotzdem weiß ich, dass es die richtige Entscheidung war."


Portraitfoto Daniel Engelbrecht, ehemaliger deutscher Fußballprofi

Engelbrecht geht immer noch regelmäßig ins Fitnessstudio und spielt auch ein bisschen Tennis, um sein psychisches Wohlbefinden zu gewährleisten. Er nimmt sich aber auch freie Tage, um neue Energie zu tanken. Mit seiner persönlichen Erfahrung im Hinterkopf rät er jungen Sportler*innen eindringlich, auf ihren eigenen Körper zu achten: "Du bist für deine Gesundheit verantwortlich, nicht deine Eltern, nicht dein Trainer, nicht dein Verein – du bist für dich selbst verantwortlich. Wenn du dich nicht gut fühlst, bleib zu Hause und nimm dir Zeit und gib deinem Körper die Zeit, sich zu erholen. Höre auf deinen Körper, denn du hast nur diese eine Gesundheit."

Hören Sie  in unserer Podcast-Folge mehr von Dr. Kim und wie Daniel Engelbrecht aus erster Hand über seinen Zusammenbruch und seine Genesung berichtet. Sie erfahren auch, wie Bewegung Patient*innen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen helfen kann, schneller wieder auf die Beine zu kommen.

Sports and cardiac health. Listen to your heart
undefined
Sports and cardiac health. Listen to your heart
0:000:00
0:00
Hear how cardiac risk can affect older and younger elite athletes differently and why an exercise program can be essential when treating a patient with cardiovascular disease.

Von Doris Pischitz
Doris Pischitz ist Redakteurin in der Unternehmenskommunikation bei Siemens Healthineers. Das Team ist spezialisiert auf Themen rund um Gesundheit, Medizintechnik, Krankheitsbilder und Digitalisierung.