Kardiologie

Zwischen blühender Gesundheit und plötzlichem Herztod

Fast 18 Millionen Menschen sterben jährlich an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Davide Piccini hat sich der Arbeit an besseren Lösungen für Herzpatient*innen verschrieben. Der junge Vater erfuhr vor weniger als einem Jahr, dass er aufgrund einer angeborenen Erkrankung selbst vom plötzlichen Herztod bedroht ist.
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Meike Feder
Veröffentlicht am February 12, 2024

Es war ein ganz normaler Tag im April, als sich Davide Piccinis Leben für immer veränderte. Er beeilte sich, um noch rechtzeitig seinen Zug nach Hause zu erreichen, als ihm plötzlich schwindelig wurde. Er verlor schlagartig das Bewusstsein und brach zusammen. „Mein Körper hat plötzlich komplett ausgesetzt und ich bin mit dem Gesicht voran auf den Boden gestürzt. Dabei habe ich mir mehrere Zähne ausgeschlagen“, erinnert er sich. Nach einer Untersuchung im nahe gelegenen Inselspital Bern wurde klar, dass seine Zähne wohl das geringste Problem darstellten. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mein Sturz etwas mit meinem Herzen zu tun haben könnte. Die Diagnose kam völlig unerwartet.“

Piccini kennt sich mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus: Seit zwölf Jahren arbeitet der promovierte Biomedizintechniker im Bereich der kardiovaskulären Magnetresonanztomographie bei Siemens Healthineers in der Schweiz. In seiner Rolle als Senior Scientist und Scientific Collaborations Manager arbeitet er gemeinsam mit Partnerkrankenhäusern an der Verbesserung von Methoden und Lösungen im Bereich der kardiovaskulären Versorgung. Er ist begeisterter Basketball-Spieler – früher halb-professionell, inzwischen als Hobby – und ging jedes Jahr zur Kontrolluntersuchung mit Belastungs-EKG, bei der nie Auffälligkeiten festgestellt wurden. Piccini weiß, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit geschätzten 17,9 Millionen Todesfällen pro Jahr eine der häufigsten Todesursachen weltweit sind [1]. Fast wäre er selbst Teil dieser Statistik geworden.

Nach seinem Sturz wurden im Krankenhaus gründliche Untersuchungen durchgeführt, doch keine konnte seine plötzliche Ohnmacht erklären. Erst als sich eine junge Ärztin das 12-Kanal-EKG ansah, das in der Notaufnahme routinemäßig erstellt wird, und sich an ein aktuelles Thema aus ihrem Studium erinnerte, wurde deutlich: Das EKG zeigte ein typisches Muster für das Brugada-Syndrom, eine Erkrankung, die die Elektrophysiologie des Herzens beeinträchtigt. Die Erkrankung war die Ursache für seinen Zusammenbruch. Um die Diagnose durch weitere Tests zu bestätigen, musste Piccini vorerst im Krankenhaus bleiben.

Das Brugada-Syndrom ist eine Erbkrankheit. Aufgrund einer Fehlfunktion von Untereinheiten der Ionenkanäle oder der mit ihnen interagierenden Proteine in den Herzmuskelzellen ist die elektrische Aktivität des Herzens gestört. Brugada-Patient*innen haben ein erhöhtes Risiko für Herzrhythmusstörungen und plötzlichen Herztod. Die Herzrhythmusstörungen treten häufig im Ruhezustand auf. Brugada wird physiologisch ausgelöst, meist im Alter zwischen 35 und 45 Jahren [2].

„Eine Synkope, also ein Kollaps, ist eng verwandt mit dem Herzstillstand und gilt als starkes Anzeichen für zukünftige Herzstillstände“, erklärt der Elektrophysiologe Professor Dr. Pappone, der täglich Brugada-Patient*innen aus der ganzen Welt untersucht und behandelt. Piccinis Geschichte ist ihm nicht unbekannt: „Das ist ein sehr häufiger Verlauf bei jungen Menschen, die nicht wissen, was sie haben, und völlig davon überzeugt sind, gesund zu sein. Es ist auch die Geschichte der 5 Millionen Menschen weltweit, die jedes Jahr an einem plötzlichen Herzstillstand sterben.“

Zu den Risiken des Brugada-Syndroms gehören plötzlicher Herzstillstand und plötzlicher Herztod. Auch das Risiko von Synkopen und lebensbedrohlichen ventrikulären Arrhythmien ist stark erhöht [3]. Piccini verlor mit dem Ereignis im April die Illusion, eine gewisse Kontrolle über derartige Ereignisse zu haben. Er ging regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen, kannte die Risikofaktoren und konnte doch nichts tun, um den Vorfall am Bahnhof zu verhindern. „Die meisten Menschen denken bei Herzkrankheiten an Koronarverschlüsse und Folgen des eigenen Lebensstils, aber das Herz ist ein sehr komplexes Organ, und Herzkrankheiten gibt es in vielen Formen“, erklärt er.

Brugada wird durch ein Gen verursacht. Professor Pappone erläutert: „Die Familienhistorie ist sehr wichtig. Die Familienanamnese zeigt die mögliche Ausprägung der Krankheit bei Familienmitgliedern.“ Viele Menschen, bei denen Brugada diagnostiziert wird, wissen von männlichen Verwandten, die in jungen Jahren an einer unbekannten Ursache verstorben sind. Die Prävalenz scheint bei Männern 8- bis 10-mal höher zu sein als bei Frauen [4]. Deshalb fordert der Experte seine Patient*innen dazu auf, mit ihren Familien über die Diagnose zu sprechen. 


Aus eigener Erfahrung weiß Piccini, dass die Diagnose des Syndroms nicht einfach ist; seine jährlichen Kontroll-EKGs zeigten keinerlei Anzeichen, die auf Brugada hinweisen. Zwei Drittel aller Brugada-Patient*innen haben ein normales EKG.


Portrait of Carlo Pappone, MD, expert in electrophysiology and in treating Brugada syndrome

Für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sowohl genetisch veranlagte als auch andere, gilt: Man kann etwas tun. Eine gesunde Lebensweise ist das A und O. Regelmäßige körperliche Betätigung, eine ausgewogene Ernährung und Strategien zur Stressbewältigung sind Möglichkeiten, um zu verhindern, dass Probleme mit dem Herzen entstehen. Das ist auch der Grund, warum Piccini seine Geschichte erzählt: Er will andere Menschen für ihre Herzgesundheit sensibilisieren und zu präventiven Maßnahmen motivieren. 

Er hofft, dass ihnen die Angst und Ungewissheit, die mit einem Herzinfarkt einhergehen, erspart bleiben. „Ich musste so viel an meine Frau und meine Kinder denken und daran, was am Bahnhof hätte passieren können. Und an meine Verwandten, die ohne Vater oder Onkel aufwuchsen, weil Brugada in unserer Familie veranlagt ist.“ 

Gleichzeitig blickt er hoffnungsvoll in die Zukunft und weiß, dass er das Glück hat, in einer Zeit zu leben, in der es Lösungen gibt, um zukünftige Ereignisse zu verhindern.

Die Behandlungspfade und Lösungen in allen Bereichen der Kardiologie entwickeln sich weiter. Pappone kann auf bedeutende Fortschritte in seinem Fachgebiet, der Elektrophysiologie, zurückblicken: „In den letzten zehn Jahren haben wir nach der Ablation bei Brugada-Fällen sehr gute Ergebnisse erzielt. Wir haben ein Programm für das Screening der Patient*innen, ihre Risikobewertung und die Nachsorge nach der Ablation.“

„Ich glaube wirklich, wenn das vor 20 Jahren passiert wäre, wäre es ganz anders ausgegangen,“ sagt Piccini. Der Vorfall habe ihm deutlich gemacht, wie wichtig die Arbeit von Siemens Healthineers zur Unterstützung von medizinischem Fachpersonal ist. „Ich freue mich, dass ich mit meiner Arbeit zusammen mit meinem Team die Versorgung für die Patient*innen verbessern kann. Für Patient*innen wie mich.“


Von Meike Feder

Meike Feder ist Redakteurin bei Siemens Healthineers. Ihr Fokus liegt auf Themen rund um die Patient*innenversorgung.