Vielfalt, Gleichberechtigung & Zugehörigkeit

Benutzeroberflächen inklusiver gestalten

Lesen Sie, wie Ross Hannibals besondere Sicht auf die Welt Linearbeschleuniger für alle besser nutzbar macht.

4 min
Rebecca Murr und Sarah Hermanns
Veröffentlicht am February 9, 2023

Ross Hannibal hat fast sein halbes Berufsleben mit der Entwicklung von Linearbeschleunigern bei Varian verbracht, einem Unternehmen von Siemens Healthineers. Aktuell managt er das Innovationsportfolio, wozu auch Neuerungen im Bereich User Experience (UX), also der Nutzererfahrung, gehören. Dabei geht es Ross nicht nur darum Kundenanforderungen zu erfüllen, sondern Benutzeroberflächen inklusiv und besser zugänglich zu machen.

Benutzeroberflächen sind dann sorgfältig gestaltet, wenn sie Informationen und Anweisungen korrekt übermitteln. Dabei spielen Farben eine wichtige Rolle. Sie können aber auch zur Herausforderung werden, etwa wenn Nutzer*innen eine Sehschwäche haben oder farbenblind sind.

Farbenblindheit kommt häufiger vor, als viele glauben. Weltweit sind etwa 300 Millionen Menschen betroffen. Das entspricht beinahe der gesamten Bevölkerung der USA. Am weitesten verbreitetet ist die sogenannte Rot-Grün-Blindheit. Betroffene Personen besitzen meist keine funktionierenden Rot- bzw. Grün-Zapfen, können diese Farben und oder auch alle anderen Farben mit roten oder grünen Bestandteilen nicht wahrnehmen. Auch Ross Hannibal ist davon betroffen.

Erste Anzeichen gab es bereits in seiner Kindheit, zum Beispiel als er einen leuchtend roten Pullover auf einer grünen Wiese verlor. „Meine Mutter merkte, dass ich den Pullover nicht finden konnte. Das war der erste Hinweis“, erinnert sich Ross. Heute kennt er seine Einschränkungen gut: „Ich kann den Unterschied zwischen Blau und Lila nicht erkennen, weil Rot Bestandteil von Lila ist, so einfach ist das.“

Ross Hannibal vor der Varian-Zentrale in Palo Alto, USA.

Ross Hannibal steht vor der Varian-Zentrale in Palo Alto, USA

Und das hat sich auch auf die berufliche Laufbahn von Ross ausgewirkt: „Ich habe zunächst eine Ausbildung zum Industriedesigner begonnen und irgendwie gar nicht daran gedacht, dass mein Handicap ein Problem darstellen könnte.“ Doch bei diesem Beruf ist ein Auge für Farben gefragt, weshalb er ins Ingenieurwesen wechselte, was ihm noch heute viel Spaß bereitet. Ross nutzt seine Farbenblindheit sogar zum Vorteil: „Ich kann Benutzeroberflächen so testen, dass sie auch für Menschen mit einer Farbschwäche funktionieren.“

 In den letzten 20 Jahren war Ross verantwortlich für das UX-Design der Linearbeschleuniger von Varian. Diese Geräte werden für die Strahlentherapie von Krebskranken eingesetzt. Zu dieser Rolle gehörten viele verschiedene Aufgaben, beispielsweise das Erstellen von Skizzen für das neue Oberflächen-Layout, das Beobachten von Nutzer*innen beim Erledigen ihrer Aufgaben oder deren Analyse, um zu ermitteln, wo Arbeitsabläufe verbessert werden können. Mit seiner Leidenschaft für Skizzen und Design ist er wie geschaffen für diese Aufgabe. Aber auch seine Farbenblindheit kommt ihm hier zugute. 

Heute ist er mitverantwortlich für das Innovationsportfolio von Varian, wozu auch UX-Innovationen gehören. „Ich konzentriere mich auf das große Ganze und nicht mehr auf bestimmte Interaktionen. Zum Beispiel arbeite ich daran, das LINAC-Design für Patientinnen und Patienten in der Pädiatrie zugänglicher zu machen“, erklärt Ross. „Ich will Innovationen schaffen, die nicht nur die Nutzer*innen inspirieren, sondern alle, die an einer wirksamen Krebstherapie beteiligt stellen.“

Linearbeschleuniger (engl. LINACs) wandeln hochenergetische Röntgenstrahlen oder Elektronen so um, dass sie sich der Form eines Tumors anpassen und Krebszellen zerstören, während das umliegende Gewebe geschont wird.

Für Ross müssen gute Benutzeroberflächen inklusiv und barrierefrei gestaltet sein. „Mit meiner Besonderheit bringe ich die Perspektive aller teilweise oder vollständig farbenblinder Nutzern und Nutzerinnen und Nutzern ein. So kann ich sicherstellen, dass wir mehrere Codes verwenden und mehr Menschen die Benutzeroberfläche angemessen nutzen zu können.“ Um dieses Ziel zu erreichen und die Kommunikation zu verbessern, kann zum Beispiel eine weitere Möglichkeit genutzt werden die Nachricht zu verstehen, etwa durch Hinzufügen einer Form oder eines Symbols.

Portrait of Ross Hannibal

Ein inklusives Design ist für Ross mehr als die Entwicklung bestimmter Produkte für bestimmte Nutzerinnen und Nutzer. Es bedeutet, etwas zu schaffen, das alle erleben können – egal wie groß die Unterschiede sind: „Wenn dein Design inklusiv ist, wird die Nutzeroberfläche für alle besser. Und das gilt für fast alle Arten von Behinderungen oder Beeinträchtigungen.“ 

Ross kennt die Herausforderungen eines nicht-inklusiven Designs nur zu gut. Zum Beispiel hat ein gewöhnlicher Wasserspender häufig eine rote und eine grüne Taste – Zeichen, die Ross nicht entschlüsseln kann, besonders bei schwacher Beleuchtung und wenn die Tasten klein sind.

Er ist überzeugt: Jeder Mensch kann irgendwann beeinträchtigt sein, sei es aufgrund einer Krankheit, eines Unfalls oder anderer Ereignisse. Nicht alle davon sind offensichtlich, aber sie verdienen es, im Design-Prozess berücksichtigt zu werden, egal ob es um eine Bürofläche, ein medizinisches Gerät oder einen einfachen Wasserspender geht. 

„Ich will dafür sorgen, dass unsere Designs besser für die Umwelt sind, damit sie der heutigen Generation helfen, ohne künftigen Generationen zu schaden“, sagt er. Deshalb arbeitet Ross auch mit Kolleg*innen zusammen, die Farben ganz normal sehen können. „Gemeinsam können wir bessere Designs schaffen, und darum geht es: Jeder Mensch kann eine Beeinträchtigung haben, wir sind alle unterschiedlich.“ Die wahre Innovationskraft und Nachhaltigkeit liegen für ihn darin, Unterschiede zusammenzubringen.


Portrait of Ross Hannibal

Ross ist überzeugt, dass wir alle unsere blinden Flecken haben, und zwar nicht nur in Bezug auf Farben und unser Gesichtsfeld, sondern auch bei unseren Überzeugungen und unseren Ideen. „Wenn wir die Art und Weise ändern können, wie wir über die Dinge denken, was unsere zugrunde liegenden Überzeugungen sind, dann können wir auch die Welt anders sehen."

Von Rebecca Murr und Sarah Hermanns
Rebecca Murr und Sarah Hermanns sind Redakteurinnen bei Siemens Healthineers.