Nachhaltigkeit

Fünf Schritte in Richtung Net Zero

Jeder einzelne Schritt hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung lohnt sich. Das Technologiezentrum Mechatronische Produkte von Siemens Healthineers in Kemnath hat mehrere Schritte auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionen unternommen.
Andrea Lutz
Veröffentlicht am May 27, 2024

Jedes produzierende Unternehmen nimmt Einfluss auf den Anstieg der globalen Treibhausgasemissionen. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das oft als „Weltklimarat“ bezeichnet wird, fordert, dass die globalen Treibhausgasemissionen bis 2030 halbiert werden müssen, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen.[1] Viele Unternehmen richten sich heute auf das Ziel „Net Zero“ (deutsch: Netto-Null) aus. Net Zero beschreibt das Erreichen eines Zustands, in dem Treibhausgasemissionen eines Unternehmens keine Netto-Auswirkungen auf das Klima haben. Das soll in erster Linie und mit absoluter Priorität durch eine deutliche Reduzierung von Treibhausgasemissionen in der Wertschöpfungskette erreicht werden.

So nennt man das Bestreben, den globalen Temperaturanstieg durch den Treibhauseffekt auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, gerechnet vom Beginn der Industrialisierung bis zum Jahr 2100.

In jedem Fall bleibt es ein ambitioniertes Ziel, denn die eigenen Emissionen schnell und drastisch zu reduzieren, ist für Unternehmen eine komplexe Herausforderung. Es sind logistische, physikalische, strategische und wirtschaftliche Hürden zu nehmen – so auch für die Mitarbeitenden von Siemens Healthineers am Standort Kemnath. Stefan König, EHS Manager, sagt trotzdem überzeugt: „Net Zero ist machbar.“

EHS steht für Environment (=Umwelt), Health (=Gesundheit) und Safety (=Sicherheit). Ein EHS-Manager koordiniert Aufgaben im Rahmen der zu diesen Themen gehörenden Managementsysteme.

Und tatsächlich nehmen die Kemnather nicht nur innerhalb des eigenen Unternehmens eine Vorbildfunktion ein. Grund genug, die fünf wichtigsten Schritte in Richtung Net Zero zu betrachten, die an diesem Standort bereits Wirkung zeigen.

Science Based Targets (SBTs) sind wissenschaftlich fundierte Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Sie beschreiben, wie groß die Reduktionsleistung innerhalb der eigenen Branche und des eigenen Unternehmens sein müsste, um die globale Erwärmung effektiv auf 1,5 Grad zu begrenzen, wie es im Pariser Abkommen festlegt wurde.

SBTs helfen Unternehmen, eigene Strategien zum Klimaschutz zu entwickeln, indem sie klare und messbare Ziele benennen. Durch die Festlegung von SBTs verpflichten sich Unternehmen dazu, ihre Emissionen zu reduzieren und ihren ökologischen Fußabdruck klein zu halten. Siemens Healthineers Kemnath ist auf diesem Weg schon ein gutes Stück vorangekommen.

König illustriert die Leistung so: „Wir sind stolz darauf, dass wir am Standort Kemnath die CO2-Emissionen durch Energieeffizienz-Maßnahmen und CO2-Reduktions-Maßnahmen im Vergleich zum Jahr 2010 bereits um ca. 80 Prozent reduzieren konnten. Das ist aber noch nicht das Ende! Wir wollen die  CO2-Emissionen weiter senken und nochmal 90 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019 einsparen. Durch die Installation von Wärmepumpen, aber auch durch die Substitution von Erdgas in den Prozessen können wir uns diesem Ziel weiter annähern. Die Umsetzung geeigneter Maßnahmen wird aktuell evaluiert.“

Der Standort Kemnath soll bis 2025 noch weiter ausgebaut werden – 60 Millionen Euro werden in der Oberpfalz investiert. Derzeit entsteht ein neues Verwaltungsgebäude für etwa 130 Mitarbeitende, in dem sich auch die neue Ausbildungswerkstatt und der Empfangsbereich befinden werden. Der Neubau ersetzt einen ineffizienten Bau aus den 1970er Jahren, der nicht wirtschaftlich saniert werden konnte.

Ab 2025 geht das neue Gebäude in Betrieb – und zwar mit einem CO2-neutralem Energiekonzept – genauer gesagt mit Wärme- und Kälteversorgung durch Luft-Wasser-Wärmepumpen. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach wird vorbereitet und kann zur Abdeckung von immerhin zehn Prozent des Stromverbrauchs des neuen Gebäudes dienen; der restliche Strom wird zugekauft, muss aber „grün“ sein. Die gute Dämmung der Gebäudehülle und der optimierte Fensterflächenanteil sorgt dafür, dass der Energiebedarf grundsätzlich sehr gering ausfallen wird – dazu gehören auch 100 Prozent LED-Beleuchtung und die bedarfsgerechte Regelung der Heiz- bzw. Kühlleistung für das Haus. Aber auch um das Gebäude herum wird jede Menge klimafreundliche Inspiration zu finden sein: die Außenanlagen und Oberflächen werden mit heimischen Pflanzen begrünt, für die besonders heißen Tage gibt es natürliche Schattenspender und alle versiegelten Flächen werden hell sein – das trägt dazu bei, dass sich das Gebäude nicht unnötig aufheizt. 

Regenwasser clever nutzen, Energie bei der Außenbeleuchtung einsparen, jedes elektrische System und Bauteil hinterfragen – all das wird hier eigentlich genauso „wie Zuhause“ gemacht, sagt Roland Höller, Leiter des Kemnather Green Teams. Dort würde man doch auch „mit vielen kleinen Ideen zum großen Ganzen beitragen“, und „das Bewusstsein bei jedem Einzelnen ist da,“ sagt Höller. Die Haltung der gesamten Mitarbeiterschaft sei „ganz klar proaktiv.“

Es gibt einige Zwischenziele auf dem Weg zu Net Zero. Ein wichtiger Meilenstein ist der Umstieg von Gas auf grünen Strom für die Produktion – und so ein Umstieg erfordert sehr viel Vorplanung, z.B. die Bereitstellung der passenden Infrastruktur. Die Maßnahmen hierzu werden im Green Team kontinuierlich verfeinert.

Ökoeffizient zu produzieren bedeutet, dass möglichst wenig Ressourcen eingesetzt werden, um ein Produkt herstellen zu können. Aber wie bekommt man Klarheit über den Ressourceneinsatz und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Klima, wenn ein Produkt so komplex aufgebaut ist wie etwa die Komponenten in der Medizintechnik? Ein aufschlussreicher Wert zur Orientierung ist das sogenannte CO2-Äquivalent.

Um CO2-Äquivalente zu quantifizieren, muss man die Menge der Treibhausgase mit ihrem GWP multiplizieren. „Ökoeffizient heißt Produkte CO2-reduziert oder CO2-neutral zu produzieren. Ökoeffektiv wird es, wenn wir unsere Produkte am Ende des Lebenszyklus den technischen Kreisläufen wieder zuführen.“ Der Denkansatz dahinter ist das im cradle-to-cradle (C2C)-Prinzip von Prof. Michael Braungart, einem Kooperationspartner von Siemens Healthineers am Standort Kemnath. Braungart warnt vor Dilemmata, die im Zuge der Verbesserung von Prozessen geschehen könnten. Er sagt: „Wir machen die falschen Dinge perfekt, und damit nur perfekt falsch“.[3] Als Ausweg beschreibt er seinen Ansatz einer konsequenten Kreislaufwirtschaft:

Michael Ott, Teamleiter Technologiekatalysator und Nachhaltigkeit im Technologiezentrum Mechatronische Produkte in Kemnath, erklärt ein wichtiges Prinzip für die Produktion in Zeiten des Klimawandels: „Effektiv bedeutet, die Dinge so zu machen, dass ich im Sinne der Ökologie die Kreisläufe schließen kann. Effizienz bedeutet, dass ich die Dinge einfach mit weniger Ressourceneinsatz mache“, schildert Ott. Im Idealfall kann man beides kombinieren, also geschlossene Kreisläufe bei minimalem Ressourceneinsatz etablieren. Ott: „Nur effizient kann sein, dass ich einfach weniger Müll produziere. Aber es gibt dann immer noch Müll. Das heißt, es ist wichtig, effektiv und effizient zusammen zu sein.“ Im Rahmen der Kooperation werden daher ausgewählte Produkte aus dem Portfolio analysiert und die nicht C2C-konformen Materialen und Verbindungstechnologien identifiziert. Anschließend werden gemeinsam neue C2C-konforme Lösungen entwickelt.

Im Kompetenzcenter 3D-Druck können heute einzelne Komponenten aus Metall oder Kunststoff für die Fertigung direkt am Standort hergestellt werden. Ein wichtiger Schritt, um dem C2C-Prinzip Rechnung zu tragen, denn damit macht sich der Standort Kemnath unabhängiger von Lieferanten und behält die Kontrolle über eingesetzte Ressourcen und Stoffe.

König: „Die Absprungbasis zur Reduzierung der CO2-Emissionen ist schon sehr niedrig aufgrund der von uns schon erreichten Reduktionsmaßnahmen. Unser Ziel ist es nun, durch die Installation von Wärmepumpen das Gas zu substituieren, das wir sowohl zur Erzeugung von Wärme als auch für unsere Prozesse noch brauchen.“

Wenn das Oberpfälzer Team am Standort Kemnath bis 2030 CO2-neutral wirtschaftet, wird das für die Oberflächentechnik heute noch benötigte Erdgas ersetzt sein durch grünen Strom, der im Idealfall anteilig auf den eigenen Hallendächern produziert wird. Zugleich soll ein optimaler Umgang mit Wertstoffen sichergestellt werden. Schon jetzt verlässt von Kemnath aus kein Kunststoff-Abfall Bayern, sondern wird vor Ort thermisch verwertet – in Zukunft sollen Materialien wo immer möglich stofflich recycelt werden.

Um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen, werden gerade jetzt mögliche Investition im zweistelligen Millionenbereich bewertet. Siemens Healthineers hat sich unternehmensweit zum proaktiven Handeln bereiterklärt. Bis 2030 soll jährlich eine stärker dekarbonisierte und stärker kreislauforientierte Wertschöpfungskette geschaffen werden. Der Standort Kemnath nimmt hier die Vorbildrolle ein.


Von Andrea Lutz
Andrea Lutz ist Journalistin und Business-Trainerin mit den Schwerpunkten Medizin, Technik und Healthcare IT. Sie lebt in Nürnberg, Deutschland.