Sonographer Stacy Otieno (right) and a patient.
Partnerschaften

Pränatale Diagnostik stärken

In ländlichen Gebieten Kenias stellt die Sterblichkeit von Wöchnerinnen und Neugeborenen eine ernsthaftes öffentliches Gesundheitsproblem dar. Können stärkere Investitionen in Fachkräfte für die prä- und postnatale Vorsorge den nötigen Wandel herbeiführen?
Doreen Pfeiffer
Veröffentlicht am November 15, 2024
Diagnostische Bildgebung ist ein wesentliches Instrument der Gesundheitsversorgung, doch fehlen in vielen Regionen Fachkräfte, die solche Untersuchungen durchführen und befunden können. Angesichts dieser Herausforderung suchte die kenianische Sonographin Stacy Otieno nach Schulungen speziell für die Bedürfnisse von Schwellenländern.

„Als ich meiner Familie erzählte, dass ich in den Bereich Radiographie gehen werde,

(...) scherzte mein Bruder: „Wirst du da Radio hören?“ Radiographie ist hier wenig geläufig. Also habe ich gesagt, dass ich die Fotografin im Krankenhaus bin. So lässt es sich am einfachsten erklären.“ 

- Stacy Otieno, Sonographin im Kilifi County, Kenia

Die großen Köpfe menschlicher Säuglinge, kombiniert mit einem engen und gebogenen Geburtskanal – wohl ein Kompromiss der Evolution, um uns aufrechtes Gehen [1] zu ermöglichen – machen die Geburt extrem schmerzhaft und riskant, sowohl für die Mutter als auch das Kind, wie Stacy Otieno weiß. Sie arbeitet als Research Associate Sonographer für die Aga Khan University im Rahmen der AIMIX-Studie im Rabai Sub-County Hospital, das zum Center of Woman and Child Care in Kenia gehört. 

Während ihres Studiums spezialisierte sich die 26-jährige Otieno auf diagnostische Radiographie mit Schwerpunkt auf pränatalem Ultraschall. Diese in der ländlichen Gegend nordwestlich von Mombasa wenig bekannte Disziplin verbessert die Gesundheit von Müttern und die pränatale Versorgung erheblich. 

AIMIX steht für Inclusive Artificial Intelligence for Accessible Medical Imaging Across Resource-Limited Settings (Künstliche Intelligenz für zugängliche medizinische Bildgebung in ressourcenbegrenzten Umgebungen) und wurde entwickelt, um große, hochwertige Bildgebungsdatensätze mit kleineren, kostengünstigen Datensätzen aus ressourcenbegrenzten Umgebungen zu integrieren. Das Projekt zielt darauf ab, KI-Algorithmen für die Bildgebung für ressourcenbeschränkte Gesundheitszentren erschwinglich zu machen, sie auf unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen zu skalieren und sie für die Nutzung durch wenig geschultes klinisches Personal zugänglich zu machen.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sterben weltweit täglich etwa 800 Frauen an Komplikationen während der Schwangerschaft und bei der Geburt. Das heißt, dass alle zwei Minuten eine Mutter stirbt. Trotz stetig sinkender Müttersterblichkeitsraten weltweit in den letzten 20 Jahren bleibt die Situation in Ländern mit schwachen und mittleren Einkommen schwierig. Dort treten fast 95 Prozent dieser Todesfälle auf.[2]

Insbesondere Kenia hat eine extrem hohe Müttersterblichkeitsrate von 594 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten, mehr als doppelt so hoch wie der globale Durchschnitt von 223 und die vierthöchste Rate in Afrika. Es besteht also dringender Handlungsbedarf.[3] Komplikationen während der Schwangerschaft und bei der Geburt ließen sich in einkommensschwachen Ländern größtenteils verhindern. Das geschieht aber nicht. Otieno wollte in ihrer Gemeinschaft etwas verändern, indem sie Radiologin wurde.

Die Müttersterblichkeitsrate ist die Anzahl der Todesfälle von Müttern pro 100.000 Lebendgeburten. Sie misst das Sterberisiko durch schwangerschaftsbedingte Komplikationen während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder innerhalb von 42 Tagen nach der Entbindung, und spiegelt die Qualität der Gesundheitsversorgung wider.

„Es gibt einen Spruch in Kenia, dass man das meiste in der Praxis lernt und nicht im Unterricht“, sagt Otieno. Nur ein kleiner Teil des Wissens lässt sich aus Büchern lernen; nachhaltiges Wissen muss von Fachleuten vermittelt werden. Aber lizenzierte Radiograf*innen in Kenia sind selten; weniger als 150 dieser Fachkräfte kommen auf eine Bevölkerung von über 50 Millionen Menschen.[4]

Ländliche Gebiete sind besonders unterversorgt, nicht nur in Bezug auf Fachärzt*innen, sondern auch auf Geräte. Systeme wie CT-Scanner und MRT-Geräte sind hauptsächlich im privaten Sektor in städtischen Gebieten vorhanden. Patient*innen müssen lange Strecken zurücklegen und sind manchmal mehrere Stunden unterwegs, um medizinische Hilfe zu erhalten.

„In einem Umfeld mit nur wenig radiologischem Fachpersonal muss man eine Ebene höher gehen und sich anderswo ausbilden lassen. Deshalb habe ich mich für ‚Radiology Across Borders‘ entschieden,“ berichtet Otieno.

Leben retten durch Bildung‘ begann im Jahr 2010 als globale Vision der australischen gemeinnützigen Organisation Radiology Across Borders (RAB) und ist im Laufe der Jahre unzähligen Patient*innen zugutegekommen. Die Organisation fördert die Ausbildung und Schulung von Radiolog*innen und medizinischen Fachkräften für unterversorgte Gemeinschaften in aller Welt. Der Fokus liegt vor allem auf der Entwicklung von Kursen speziell für die Bedürfnisse von Schwellenländern.

RAB arbeitet mit starken Partnern wie der University of British Columbia zusammen. Die Organisation initiiert Projekte, gestaltet Kurse und pflegt regionale Kontakte, während ein Team der University of British Columbia ihre Arbeit mit akademischer Expertise unterstützt. Gemeinsam haben sie hochwertige, multimediale Schulungsprogramme mit internationaler Wirkung etabliert. Siemens Healthineers trat RAB 2016 als ‚Foundation Partner‘ bei und leistet wesentliche finanzielle Unterstützung, um die Reichweite der Organisation zu fördern.

Otieno hat einen der umfassendsten Kurse absolviert und das Internationale Grundlagenzertifikat für Radiologie erworben. Dieses einjährige Grundlagenprogramm deckt alle wichtigen Bereiche der Radiologie ab. Die Ausbildung ist intensiv, berichtet Otieno, aber es geht nicht nur um die bloße Vermittlung von standardisiertem Wissen.

Radiology Across Borders ist eine internationale gemeinnützige Organisation mit dem Ziel, das radiologische Angebot in unterversorgten Regionen zu verbessern. Sie bietet Schulungen, Bildung und Unterstützung für Gesundheitsfachkräfte und stärkt diagnostische Kapazitäten weltweit.

Einige der Mütter, die als Patientinnen zu Otieno kommen, haben bereits mehrere Schwangerschaften ohne jegliche pränatale Vorsorge hinter sich. „Viele Frauen glauben, dass ein Fötus erst nach sechs Monaten vollständig ausgebildet ist. Wenn sie ihr Baby zum ersten Mal im Ultraschall sehen, nur Wochen nach der Empfängnis, sind sie fasziniert, dass es bereits einen Kopf, zwei kleine Hände, Beine und einen Herzschlag hat,“ erklärt Otieno. 

Oftmals werden Ultraschalluntersuchungen mit Röntgenuntersuchungen gleichgesetzt. Dadurch fürchten oft andere Familienmitglieder, dass die Schallwellen ein Risiko für das ungeborene Kind darstellen. "Eine der großen Herausforderungen meiner Arbeit besteht also darin, Mythen über Bildgebung abzubauen. Aber sobald das gelingt, entsteht eine positive Dynamik und die Patientinnen fangen an, ihre positiven Erfahrungen mit anderen Frauen zu teilen,“ sagt Otieno lächelnd.

Trotz aller Bemühungen bleibt der Zugang zur Gesundheitsversorgung eine Herausforderung, die sich nicht über Nacht lösen lässt. Doch wenn viele Menschen kleine Schritte unternehmen, wird Veränderung möglich. In Kilifi County sind Frauen wie Otieno von unschätzbarem Wert – nicht nur, weil sie die Schwangerschaftsvorsorge verbessern, sondern auch, weil sie einen größeren Wandel im Gesundheitswesen vorantreiben.

„Ich glaube, die Radiographie hat einen langen Weg vor sich,“ sagt Otieno. „Aber was mir wirklich Hoffnung gibt, ist das Lächeln auf den Gesichtern der Mütter und ihre Faszination während der Untersuchungen. Es ist mehr als ein schwarz-weißes Bild auf dem Monitor. Man sieht die nächste Generation entstehen.“


Von Doreen Pfeiffer
Doreen Pfeiffer ist Redakteurin bei Siemens Healthineers.