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Patient Twin: Warum Sophia keine Angst vor Krebs mehr hat
Gegenfrage: Haben Sie schon mal etwas vom „Innovator´s Dilemma" gehört? Clayton M. Christensen beschrieb das Konzept 1997 in seinem Buch „The Innovator´s Dilemma: When new technologies cause great firms to fail." Darin argumentiert er, etablierte Unternehmen würden häufig Innovationswellen in ihren jeweiligen Branchen verpassen. Sie seien so darauf konzentriert, ihre bestehenden Kunden zufriedenzustellen und ihre Marktanteile zu halten, dass sie disruptiven Innovationen nicht offen gegenüberstünden. Damit sind neue Technologien und Geschäftsmodelle gemeint, die bestehende Märkte und Branchen grundlegend verändern.
Peter Aulbach ist sich sicher, dass das Siemens Healthineers nicht passieren wird: „Das Konzept der Technologievision ist eine Möglichkeit, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass wir ein Unternehmen sind, das sich nicht vor Risiken scheut, viel in Zukunftstechnologie investiert, über künftiges Design nachdenkt, und bei dem trotzdem immer die Menschen – Patient*innen und Mitarbeitende der Gesundheitsbranche – im Zentrum aller Überlegungen stehen.“
Der promovierte Mediziner und diplomierte Ingenieur arbeitet bei Siemens Healthineers im Bereich „Innovation Strategy and Ecosystem“, wo das Format der Technologievisionen vorangetrieben wird. Rund um Schlüsseltechnologien werden hier Zukunftsszenarien zu Behandlungspfaden in großen Krankheitsfeldern entwickelt, aus Sicht der Patient*innen und des medizinischen Fachpersonals. Dabei geht es um Sensorik, Künstliche Intelligenz, Digital Twinning und Robotik, Virtual und Augmented Reality.
Nach Zukunftsszenarien zum Thema Schlaganfall und kardiovaskuläre Erkrankungen ist nun unter Aulbachs inhaltlicher Leitung und Koordination eine unternehmensweite Technologievision zum Thema Krebs entstanden. Unter der Schirmherrschaft von Chief Technology Officer Peter Schardt erarbeitete ein Kernteam aus mehr als 60 unternehmens- und funktionsübergreifenden Expert*innen die Szenarien mithilfe von Design-Thinking-Methoden in interdisziplinären Co-Creation-Workshops.
Ein Scribbler hielt die verschiedenen Reifegrade der Szenarien in Zeichnungen fest. Das Ziel: ein gemeinsames Verständnis und eine Diskussionsgrundlage für weitere Iterationen zu schaffen.
Im Anschluss haben über 200 Fachleute, beispielsweise aus der Technischen Entwicklung, dem Vertrieb und Produktmanagement, sowie Key-Expert*innen für Zukunftstechnologien gemeinsam mit ausgewählten Forschungskooperations-Partner*innen die erarbeiteten Inhalte systematisch geprüft. Dabei ging es um Aspekte wie technische Machbarkeit, Kundenwünsche, Marktfähigkeit, und ob die Inhalte mit den Werten unseres Unternehmens übereinstimmen. Die Ergebnisse wurden den beteiligten Abteilungen übergeben und dienen als Empfehlungen für die Ausrichtung ihrer Forschungs- und Entwicklungs-Roadmaps.
Solche Gedankenexperimente haben das Ziel, in einem internationalen, stark spezialisiert und verzweigt arbeitenden Unternehmen wie Siemens Healthineers ein gemeinsames Leitbild für alle Innovator*innen zu schaffen: „Für einen umfassenden Wertstrom, über alle beteiligten Geräte und Services hinweg, hin zu den Patientinnen und Patienten sowie unseren Kundinnen und Kunden“, erklärt Aulbach. Die Initiative fördert ein vernetztes Arbeiten über die Grenzen der einzelnen Geschäftsbereiche hinaus. Denn komplexe Zukunftskonzepte wie Patient*innen-Zwillinge lassen sich nur mit jahrelanger übergreifender Zusammenarbeit umsetzen.
Manche Aspekte der Technologievision sind bereits Realität: in Form von teilautomatisierten Prozessen, die in unsere medizintechnischen Produkte integriert sind. Das erleichtert schon heute das Leben von Mitarbeitenden der Medizinbranche und Patient*innen. Andere sind in Umsetzung, wieder andere sollen erst noch entstehen. In etwa zehn Jahren könnte ein kompletter Behandlungsverlauf wie der unten beschriebene Wirklichkeit werden. Dann könnten wir medizinisches Personal noch stärker entlasten, klinische Abläufe weiter optimieren. Und was das Wichtigste ist: Wir könnten die Behandlung noch individueller auf die einzelnen Krebspatient*innen abstimmen und ihre Lebenserwartung weiter verbessern.
Wir zeichnen ein Bild der Zukunft, in der unsere Schlüsseltechnologien dafür sorgen, dass Mediziner*innen und ihre Patient*innen das erhalten, was sie brauchen, um erfolgreich gegen den Krebs zu kämpfen.
Peter Aulbach, Leiter Siemens Healthineers Innovation Center Erlangen
Sophia hatte nicht nur Glück im Leben. Die 58-Jährige bekam vor zwei Jahren die Diagnose Lungenkrebs, genauer gesagt NSCLC. [1] Vor einigen Monaten bildete der Krebs weitere Tochtergeschwülste in Leber und Wirbelsäule, sogenannte Oligometastasen. Ein Schock für Sophia und ihre Familie.
Was ist NSCLC?
Der onkologische Begriff beschreibt eine spezielle Art von Krebsmetastasierung. Metastasen sind Tumore, die sich von ihrem ursprünglichen Entstehungsort (dem sogenannten Primärtumor) auf weitere Teile des Körpers ausgebreitet haben. Oligometastasen sind eine Form der Metastasierung, bei der sich nur eine begrenzte Anzahl von Metastasen in einer begrenzten Anzahl von Organen oder Gewebeteilen gebildet hat. Es handelt sich um ein Stadium zwischen lokalisierter und weit fortgeschrittener, systemischer Krebserkrankung. [2]
Zum Glück konnten alle Tumore zunächst erfolgreich behandelt werden. Deshalb kann Sophia ihre Krankheit im Alltag inzwischen gut ausblenden. Sie fühlt sich recht sicher: Ihr Gesundheitszustand wird durch regelmäßige Check-Ups mit ihrem Ärzt*innen-Team aus Onkolog*innen und Radiolog*innen, speziellen Apps auf ihrem Smartphone und moderne Medizintechnik überwacht. Und mithilfe von künstlicher Intelligenz natürlich.
Sämtliche medizinischen Daten, die während Sophias Behandlungen gesammelt werden, fließen in das digitale Modell der Patientin ─ ihren digitalen Patient*innen-Zwilling ─ ein. Die KI wertet ihre Daten kontinuierlich in Echtzeit aus, um Voraussagen über die Entwicklung von Sophias Gesundheitszustand treffen zu können. Large Language Models helfen dabei, ungeordnete Daten zu strukturieren und in medizinische Berichte im passenden Sprachduktus für Sophias Hausarzt, ihre Onkologin, oder für Sophia selbst umzuwandeln.
Was sind Large Language Models?
Die Daten werden auch genutzt, um medizinische Geräte, mit denen Sophia untersucht wird, optimal auf ihre individuellen Bedürfnisse einzustellen. Dies führt nicht nur zu einer präziseren Behandlung, sondern spart auch dem medizinischen Personal Zeit und Kapazität.
Ganzheitliche digitale Unterstützung
Das digitale Modell der Patientin kennt Sophias Behandlungsverlauf und den weiteren Plan, den sie mit ihren Ärztinnen und Ärzten abgestimmt hat. Es weiß über ihre persönlichen Vorlieben und ihre familiäre Situation Bescheid. Über eine App auf ihrem Smartphone erinnert es Sophia daran, wann welche Untersuchung oder Therapie ansteht. Basierend auf wissenschaftlichen Empfehlungen bietet es Tipps und Tricks, wie sie sich vor, während und nach der jeweiligen Behandlung für ein besseres Allgemeinbefinden verhalten kann.
Die Daten aus Sophias digitalem Patient*innen-Zwilling helfen nicht nur ihr selbst: Sophia hat sich bereit erklärt, sie zu spenden ─ natürlich anonymisiert. Die Daten werden in eine riesige Datenbank eingespeist, die zum Training von KI-Algorithmen eingesetzt werden kann. So wird die KI-basierte Entscheidungsfindung immer weiter verbessert.
Wie managed man riesige Datenmengen?
Noch ist das Konzept des digitalen Patient*innen-Zwillings¹ Zukunftsmusik. Doch Siemens Healthineers arbeitet bereits daran, dass es Realität werden kann. Ein digitaler Patient*innen-Zwilling soll auf Basis der medizinischen Vorgeschichte einer Person und ihrer elektronischen Patientenakte (ePA) erstellt werden. Diese Informationen werden durch Daten aus medizinischen Untersuchungen und von Sensoren, beispielsweise tragbaren Geräten wie Smart Watches, aktualisiert. Medizinische und lebensstilbezogene Daten (zum Beispiel zur Ernährung) werden in Echtzeit bereitgestellt. KI-Algorithmen gleichen diese Daten kontinuierlich mit vergleichbaren Datensätzen ab. Dabei werden Simulationen erstellt, beispielsweise zum zu erwartenden Gesundheitszustand der zu behandelnden Person. Sie helfen dabei, die Datenflut zu strukturieren und ermöglichen eine Kommunikation zwischen verschiedenen Geräten und Systemen. Auf Basis der Informationen können Patientinnen, Patienten und das medizinische Fachpersonal bei der Entscheidungsfindung unterstützt werden.
Künstliche Intelligenz hilft medizinischen Zentren, Therapieerfolge zu simulieren – für eine bessere Auswahl des nächsten Schrittes. Frühwarnungen, basierend auf den Daten, ermöglichen es den Zentren, Termine für Checks, Diagnostik und Folgetherapien zu planen, aber auch Engpässe in der Therapiekapazität zu prognostizieren und ihre Personalplanung entsprechend anzupassen.
1. Screening und Früherkennung
Einmal pro Woche führt Sophia morgens nach dem Zähneputzen eine Flüssigbiopsie (Liquid Biopsy) durch, ein Test, um Krebszellen im Blut zu erkennen Das Blut dafür entnimmt sie sich durch einen einfachen „Pieks“ in den Finger selbst.
Eine Flüssigbiopsie (Liquid Biopsy) ist ein Untersuchungsverfahren, bei dem mithilfe von Blutproben Informationen über eine Krebserkrankung gewonnen werden können. Die Liquid Biopsy kann Tumorzellen bzw. Tumor-DNA im Blut nachweisen. Während bei herkömmlichen Biopsien Gewebeproben entnommen werden, ist die Liquid Biopsy ein nicht-invasives Verfahren, das für Patient*innen angenehmer und mit weniger Risiken verbunden ist. Außerdem kann sie in manchen Fällen Krebs in einem früheren Stadium erkennen als herkömmliche Biopsien. [3]
Heute schlägt die KI des tragbaren Biosensor-Gerätes Alarm: Die Biosensoren haben Auffälligkeiten bei den Blutwerten gefunden, die auf ein Fortschreiten ihrer Krebserkrankung hinweisen könnten. Zeitgleich sendet die KI eine Warnmeldung an Sophias medizinisches Team und schlägt eine Strategie für das weitere Vorgehen vor. Sophia ist besorgt.
Die leitende Onkologin ruft Sophia direkt an und beruhigt sie. Auf Basis der Empfehlung der KI entscheidet sie gemeinsam mit Sophia, dass der nächste diagnostische Schritt eine Computertomographie (CT) sein soll. Die KI der Patient-Twinning-App auf Sophias Smartphone identifiziert das beste CT-Gerät für ihre Untersuchung. Die KI prüft verfügbare Ressourcen und vereinbart mit Sophia einen Termin für den CT-Scan, inklusive genauer Ortsangabe und Anfahrts-Optionen. Sophia weiß sogar bereits, wer genau sie am CT empfangen und untersuchen wird.
Bluttest auf Basis von Bionsensor-Technologie
Was denken Mediziner*innen über digitale Zwillinge in der Krebstherapie?
„Für die Präzisionsmedizin werden digitale Zwillinge unerlässlich sein,“ sagt Ulrike Attenberger. Hier lesen Sie ein Interview mit der Professorin und Leiterin der Klinik für Radiologie am Universitätsklinikum Bonn.
Zwei Tage später macht sich Sophia auf den Weg zu ihrem CT-Scan. Auf Basis der Daten des digitalen Patient*innen-Zwillings, der bereits die aktualisierten Daten aus dem Bluttest gespeichert hat, ist der Scanner optimal auf ihre Bedürfnisse eingestellt – noch bevor Sophia überhaupt die Praxis betritt.
Der medizinische Technologe vor Ort muss die automatisch vorgenommene Geräteeinstellung nur noch kurz überprüfen und bestätigen. Das könnte er sogar über seinen Rechner zu Hause oder unterwegs mit dem Tablet tun: die moderne Technik ermöglicht es, dass auch in abgelegenen Gegenden oder Regionen mit medizinischem Personalmangel jederzeit komplexe medizinische Untersuchungen durchgeführt werden können.
Als MTR im Homeoffice arbeiten?
Klinikpersonal, das von zuhause aus arbeitet? Dank unserer intelligenten Technik ist das heute bereits möglich. Lesen Sie die Geschichte von Stefanie Hajduga, einer Medizinischen Technologin für Radiologie.
Photonenzählender CT
Der Scanner, den die KI für Sophia empfohlen hat, ist ein photonenzählender CT. Zu seinen Vorteilen gehören unter anderem eine reduzierte Strahlendosis und eine verbesserte Bildqualität. [4] Die besonders hochauflösenden und kontrastreichen Bilder des Scanners helfen dem medizinischen Personal, kleine Details und Unterschiede in Geweben zu erkennen und somit die Tumorinvasion abzugrenzen. Im Zusammenspiel mit KI können aus den Daten durch Radiomics weitere wichtige Informationen über den Tumor gewonnen werden.
Computertomographie neu definiert
Radiomics ist eine Methode der medizinischen Bildverarbeitung. Dabei werden große Mengen an quantitativen Daten (zum Beispiel zur Größe, Form oder Textur eines Tumors) aus medizinischen Bildern extrahiert, also „herausgezogen“, die mit dem bloßen Auge nicht sichtbar sind.
Mithilfe von Computerprogrammen und Algorithmen werden die aus den Bildern generierten Daten analysiert. Die so gewonnenen Informationen können dazu beitragen, das Stadium der Krankheit besser zu verstehen, Vorhersagen über den Krankheitsverlauf zu treffen und die am besten geeignete Behandlung zu planen.
Radiomics ist ein relativ neues Forschungsgebiet, hat aber das Potenzial, die Krebsbehandlung grundlegend zu verändern, Krebserkrankungen früher zu erkennen und die Wirksamkeit der Behandlung durch eine personalisierte Therapie zu verbessern. [5]
2. Diagnose- und Therapieentscheidung
Ein medizinisches Fachteam kümmert sich um Sophia: Onkolog*innen verschiedener Disziplinen arbeiten von unterschiedlichen Standorten aus zusammen. Virtuell nehmen sie an einer Tumorkonferenz teil – quasi einem digitalen „runden Tisch“. Ziel ist es, basierend auf allen bisher erfassten Daten aus Sophias digitalem Patient*innen-Zwilling eine sichere Diagnose für sie zu stellen und weitere Therapieoptionen zu bewerten.
Alle Informationen sind in Form eines Avatars der Patientin visuell aufbereitet. Virtual Reality (VR)- und Augmented Reality (AR)-Headsets helfen dem medizinischen Personal, die vielschichtigen Informationen besser zu verstehen und mit ihnen zu interagieren.
Leider bestätigt sich der Verdacht: Der photonenzählende CT zeigt im Zusammenspiel mit der KI, die im Abgleich mit älteren CT- und Magnetresonanztomographie (MRT)-Scans von Sophia sowie Scans aus einem großen Datenpool anderer Patient*innen Muster identifiziert, was das menschliche Auge noch nicht erkennen kann: In Sophias linkem Lungenflügel wächst ein neuer Tumor.
Extended Reality (XR) in der Medizintechnik?
Zum Glück ist der Tumor noch in einem sehr frühen Stadium. Der Avatar zeigt, wo genau er lokalisiert ist. Auf Anfrage erhalten die Mediziner*innen zusätzlich weitere Daten, etwa zu Sophias Vitalzeichen, zu Laboruntersuchungen und Genomik. Alle Informationen werden automatisch in Sophias elektronischer Patientenakte, ihrer ePA, gespeichert.
Was ist eine elektronische Patientenakte (ePA)?
Die KI stellt anhand des Avatars mögliche Therapieansätze vor, damit das medizinische Team schnell über die weitere Behandlung entscheiden kann: Unter anderem hat sie anhand von genetischen Mustern in komplexen Berechnungen mithilfe von Radiomics einen digitalen Zwilling des neuen Tumors erstellt.
Diese Vorgehensweise sorgt dafür, dass der Patientin möglichst wenig Gewebeproben entnommen werden müssen. Die Therapie kann schneller und zielgerichteter erfolgen. Auf Basis des digitalen Zwillings des Tumors und des digitalen Zwillings der Patientin prognostiziert die KI, wie wahrscheinlich es ist, dass der Tumor auf die verschiedenen Therapieformen anspricht und mit welchem Erfolg. Kann Sophia aktuell eine Kryoablation [6] oder eine Bestrahlung besser helfen?
Was ist eine Kryoablation?
Die KI gibt Therapieempfehlungen
Basierend auf den errechneten Wahrscheinlichkeiten und unter Berücksichtigung der erwarteten Nebenwirkungen sowie der Kosteneffizienz gibt die KI dem medizinischen Team Therapieempfehlungen.
Sobald die Mediziner*innen sich einig sind, wird Sophia in die Konferenz geschaltet. Mithilfe eines Large Language Models hat die KI die komplexen medizinischen Informationen für die Patientin leicht verständlich aufbereitet. Die Ärztinnen und Ärzte informieren Sophia über die empfohlenen nächsten therapeutischen Schritte und Risiken. Das verschafft Sophia Klarheit und nimmt ihr die Unsicherheit. Schließlich entscheidet sich Sophia für eine KI-gestützte Bestrahlungstherapie.
3. Behandlungsplanung und -durchführung
Vor der Einführung von KI-optimierten Arbeitsabläufen war die Planung einer Strahlentherapie ein langwieriger Prozess, der für Patient*innen oft mehrwöchige Wartezeiten bedeutete. Dank KI-Unterstützung können die Behandlungsplanung und Sophias Bestrahlung nun innerhalb weniger Stunden am selben Tag erfolgen, um keine kostbare Zeit zu verlieren.
Die KI plant die Auslastung, koordiniert Termine, unterstützt bei der detaillierten Planung der Bestrahlungstherapie und stellt auf Basis der Daten der Patientin alle Geräte präzise auf Sophias Bedürfnisse ein.
Die Strahlentherapie der Zukunft
Ein digitaler Zwilling für die Strahlentherapie
Dann generiert die KI einen digitalen Zwilling speziell für die Strahlentherapie: Dafür werden die Daten aus Sophias Avatar, z. B. durch Daten aus den aktuellen CT- und MRT-Scans sowie aus der KI-gestützten Erkennung (Autokonturierung) der Risikoorgane, die bei der Bestrahlung geschont werden sollen. Denn die möglichst genaue Feststellung der Grenzen zwischen tumorösem und gesundem Gewebe ist ein wichtiger Faktor für den späteren Behandlungserfolg.
Auf Basis der präzisen Daten werden mithilfe der KI Höhe und Verteilung der Bestrahlungsdosis berechnet. Die zuständige Fachkraft für Radioonkologie kontrolliert alle von der KI erzeugten Ergebnisse, bevor die tatsächliche Behandlung startet.
Wie funktioniert Autokonturierung?
Die KI hat berechnet, dass Sophia über mehrere Wochen verteilt insgesamt 25 Bestrahlungseinheiten erhalten sollte. Ihre erste Bestrahlung startet gleich. Basierend auf den Daten des Behandlungsprotokolls ist der Linearbeschleuniger (LINAC) bereits so eingestellt, dass er exakt die errechnete Einzeldosis abgibt.
Der LINAC hat eine integrierte Bildgebungsfunktion und erstellt während der Behandlung weitere medizinische Bilder. Er erkennt, wie sich die Weichteile und Organe bewegen, und kann diese Bewegungen ausgleichen. Die in den LINAC integrierte Sensorik und KI berechnen Sophias Atmung und Atempausen bei der Bestrahlung mit ein. Dank der Bild- und KI-Unterstützung kann die Strahlendosis präzise auf den Tumor konzentriert werden, während das umliegende Gewebe geschont wird. Noch während der Behandlung können die Mediziner*innen bei der Qualitätskontrolle sehen, ob sie erfolgreich war.
Was ist ein Linearbeschleuniger oder kurz LINAC?
Schnelle Anpassung der Behandlung
Für die zweite Bestrahlungsdosis einige Tage später hat die KI den digitalen Zwilling für die Strahlentherapie bereits auf die Ergebnisse der ersten Dosis hin ausgewertet. Sie empfiehlt eine Behandlungsanpassung in Bezug auf die Dosisverschreibung. Der Radioonkologe entscheidet, die vorgeschlagene angepasste Strahlendosis für die zweite Teilfraktion zu akzeptieren. Nach Rücksprache mit Sophia gibt er das Protokoll frei.
Bereits vor etwa einem Jahr musste Sophias Lebertumor behandelt werden. Damals griffen ihre Ärzt*innen nach Anraten der KI auf eine transarterielle Chemoembolisation (TACE) zurück.
Bei der transarteriellen Chemoembolisation (TACE) werden die Prinzipien der Embolisation und Chemotherapie kombiniert. Eine TACE kommt häufig bei der Behandlung von Leberkrebs zum Einsatz. Im Rahmen einer Angiographie spritzt die Fachkraft für interventionelle Radiologie kleine Kunststoffteilchen in das Blutgefäß, das den Tumor versorgt. Das Gefäß verstopft, und die Blutzufuhr zum Tumor wird gestoppt. Weil Nährstoffe und Sauerstoff ausbleiben, sterben die Tumorzellen in diesem Bereich ab. Zusätzlich kann ein Chemotherapeutikum durch den Katheter gespritzt werden, welches ebenfalls ein Absterben der Krebszellen bewirkt. So kann das Tumorwachstum verzögert werden. [7]
Auch bei der TACE unterstützte die KI im Zusammenspiel mit anderen Schlüsseltechnologien: Im Vorfeld schlug sie dem medizinischen Team die passenden Führungsdrähte und Katheter sowie das beste Embolisationsmaterial für den gezielten Gefäßverschluss vor. Gleichzeitig überprüfte die KI, ob das benötigte Material im Bestand des Krankenhauses verfügbar war. Bei der Angiographie zur Embolisation der Blutversorgung des Tumors empfahl die KI die korrekte Injektionsstelle, die Zugangsrouten und den besten Winkel für den C-Arm.
Noch weiter in der Zukunft könnte Patient*innen wie Sophia vielleicht ein Operations-Angio-Roboter in einem spezialisierten medizinischem Zentrum helfen. Unter ständiger Steuerung und Überwachung durch das medizinische Fachpersonal, das aus der Ferne jederzeit eingreifen kann, könnte der Operations-Angio-Roboter den Katheter automatisch durch die Blutgefäße führen und die notwendigen Medikamente sowie Materialien für den Gefäßverschluss des Tumors injizieren. So könnten schwierige, seltene und zeitkritische Eingriffe auch in abgelegenen, ländlichen Gebieten angeboten werden.
Was ist ein C-Arm?
Krebs ist und bleibt eine große Belastung
Heute hängt der Erfolg einer Operation maßgeblich vom handwerklichen Geschick und der Erfahrung des chirurgischen Fachpersonals ab. Roboter, oder auch sogenannte „Co-Bots“ (kollaborative Roboter, die mit Menschen zusammenarbeiten) könnten künftig für mehr Standardisierung und Präzision sorgen und somit eine gleichwertige Behandlung für alle Patient*innen ermöglichen. Bereits heute werden Roboter bei minimalinvasiven Operationen eingesetzt. Sie können Ärzt*innen, die häufig radiologische Untersuchungen durchführen müssen, die Strahlenbelastung ersparen. Sie können teilweise schon heute medizinischen Expert*innen, die sie aus Hunderten Kilometern Entfernung steuern, ortsunabhängig Eingriffe aus der Ferne ermöglichen. Oder im Operationssaal als mobiler Service-Roboter assistieren, indem sie sterile Materialien wie Stents, Katheter und Tupfer anreichen. Kurz: Sie könnten komplexe Eingriffe in Umgebungen ermöglichen, wo nicht die eigentlich dafür nötigen Rahmenbedingungen herrschen, beispielweise wegen örtlicher Abgeschiedenheit, Überlastung oder Fachkräftemangel.
Sollte Sophia einen minimalinvasiven operativen Eingriff brauchen, könnten die Mediziner*innen mittels Virtual Reality den Eingriff im Vorfeld inszenieren und simulieren. So könnten sie wertvolle OP-Zeit sparen und das Risiko von Komplikationen während des Eingriffs minimieren. Im OP selbst käme Augmented-Reality-Headsets zum Einsatz, damit die Ärzt*innen alle wichtigen Infos über Sophias Gesundheitszustand jederzeit im Blick haben.
Die Informationen in ihren Headsets würden die Operateur*innen durch den Eingriff navigieren. Expert*innen, die nicht vor Ort sein können, könnten über das Headset dazu geschaltet werden, um ihre Einschätzung abzugeben. Während des Eingriffs böte die KI Entscheidungsunterstützung in Echtzeit: So könnte der Fortgang der OP simuliert und frühzeitig Empfehlungen oder Warnungen gegeben werden, wenn die KI Abweichungen vom geplanten Vorgehen oder eine sich anbahnende Komplikation erkennt.
4. Medizinische Nachsorge
Wie geht es Sophia einige Wochen später? Ihre Bestrahlungstherapie ist abgeschlossen. Die aktuellen Auswertungen ihres Avatars bestätigen, dass der Tumor in ihrer Lunge erfolgreich bekämpft werden konnte.
Sophias Leben geht weiter. Doch ihr Krebs ist eine chronische Erkrankung, die sie selbst, ihre Ärztinnen und Ärzte wachsam beobachten: Sophia teilt ihren Gesundheitszustand über die App auf ihrem Smartphone regelmäßig mit ihrem Behandlungsteam, geht zuverlässig zu den Nachsorgeuntersuchungen, an die sie die App erinnert, und macht wöchentlich ihren Bluttest zuhause.
Eine App für mehr Patient*innenbeteiligung?
Sophia fühlt sich gut umsorgt: Sobald es auch das kleinste Anzeichen für eine Verschlechterung ihres Zustandes gäbe, würde ihr digitaler Zwilling sie selbst und ihre behandelnden Ärzt*innen sofort warnen. Die KI würde, gemeinsam mit ihrem medizinischen Team, eine evidenz-basierte, personalisierte Behandlungsalternative für Sophia finden. Und ihr weiter dabei helfen, ihren Gesundheitszustand zu „managen“.
Damit ein digitaler Patient*innen-Zwilling und intelligent vernetzte Schlüsseltechnologien irgendwann Realität werden können, braucht es mehr als innovative, technische Entwicklungen und Visionen: zum Beispiel eine zuverlässige digitale Infrastruktur, die den kontinuierlichen Austausch medizinischer Daten ermöglicht. Die Voraussetzungen dafür müssten bereits heute in den Gesundheitssystemen und Krankenhäusern geschaffen werden, damit Patient*innen und medizinisches Personal in Zukunft davon profitieren können.
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Disclaimer:
Dieser Text beschreibt zukünftige Ideen und Konzepte. Er dient nicht der Beschreibung bestimmter Leistungs- und/oder Sicherheitseigenschaften derzeit geplanter oder zukünftiger Produkte. Die zukünftige Realisierung und Verfügbarkeit können nicht garantiert werden.
¹ Patient Twinning befindet sich in der Entwicklungsphase. Es ist nicht käuflich zu erwerben. Die zukünftige Verfügbarkeit kann nicht garantiert werden.
Quellen:
[1] https://www.esmo.org/content/download/123909/2350201/file/DE-Nicht-Kleinzelliges-Bronchialkarzinom-(NSCLC)-Patientenleitlinie.pdf
[2] https://healthcare-in-europe.com/de/news/mittendrin-statt-nur-dabei.html#:~:text=Der%20Begriff%20%E2%80%9EOligometastasierung%E2%80%9C%2C%20der,bei%20ihnen%20nur%20vereinzelte%20(griech.
[3] https://flexikon.doccheck.com/de/Liquid_Biopsy#:~:text=Liquid%20Biopsy%20erm%C3%B6glicht%20den%20Nachweis,den%20Patienten%20zu%20erreichen%20sind.
[4] https://link.springer.com/article/10.1007/s00117-021-00812-8
[5] https://www.drg.de/de-DE/3608/whitepaper/
[6] https://www.mayoclinic.org/tests-procedures/cryoablation-for-cancer/about/pac-20385216
[7] https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/krebsarten/andere-krebsarten/leberkrebs/therapie.html